Jüdischer Kulturweg

Die „Zigarre“ in Heilbronn und die Gründerfamilie Kahn

Stadt Heilbronn

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Lukas A. Stadler

Die Gründerfamilie Kahn

Ende des 19. Jahrhunderts blühten Heilbronn und auch seine jüdische Gemeinde mit 994 Mitgliedern (1885) auf. Viele Unternehmen hatten sich angesiedelt, woran auch jüdische Gründer bedeutenden Anteil hatten. Um 1899 existierten bereits 80 Firmen jüdischer Inhaber. Ein Jahr danach verlegte der jüdische Unternehmer Anselm Kahn seine 1897 gegründete Zigarrenfabrik von Gemmingen in die Mozartstraße 6 in Heilbronn. Seine Brüder Julius und Josef wurden später ebenfalls Teilhaber der Firma.

Die Geschwister Kahn, v. l. Anselm, Lina, Leopold, Sigmund, Fritz und Julius. Es fehlt Josef, der seit 1911 Teilhaber der Firma war. Foto: Archiv Margarete und Arnold Vogt.

Die Zigarrenfabrik

Im Jahr 1909 wurde in der Achtungstraße 37 eine neue Fabrik errichtet. Das mit modernen Maschinen ausgestattete Gebäude musste schon 1914 erweitert werden. Dort waren zunächst 90 Männer und 70 Frauen beschäftigt. 1931 war die Belegschaft auf 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen. Für das Wohl des Personals fanden sich eine Kantine, ein beheizter Pausenraum und Garderobenräume für Männer und Frauen. Auch das Miteinander gehörte zur Unternehmenskultur: 1936 führte ein Betriebsausflug 830 Teilnehmer in einem schön geschmückten Sonderzug nach Eberbach. Zudem war Anselm Kahn in der Israelitischen Kirchengemeinde Heilbronn engagiert und stiftete größere Summen für wohltätige Zwecke.

Ansicht des dreigeschossigen Gebäudes zur Achtungstraße von 1908 mit seitlichem Anbau von 1914. Stadtarchiv Heilbronn A 034-1306-09.

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurden jüdische Betriebe aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen bzw. „arisiert“. Im April 1938 mussten die Brüder Kahn die Firma verlassen, die unter den neuen Besitzern als Helbruna Zigarrenfabrik firmierte. Josef Kahn wurde im Verlauf der Pogromnacht in Stuttgart verhaftet und nach Dachau verschleppt. Nach zwei Wochen wurde er mit der Auflage freigelassen, Deutschland zu verlassen. Sein Haus wurde von der Stadt Heilbronn erworben und an den NSDAP-Kreisleiter Richard Drauz als Dienst- und Wohngebäude vermietet. Am 8. Dezember 1938 konnte Josef Kahn zunächst in die Niederlande, danach in die USA fliehen. Nachdem die Nazis gewaltsam in Julius Kahns Haus eingebrochen waren und die Einrichtung verwüstet hatten, flüchtete er am 3. Januar 1939 mit seiner Frau ebenfalls in die USA. Anselm Kahn floh 1938 mit seiner Familie über Kuba nach New York.

Zigarrenproduktion in der Achtungstraße. Foto: Archiv Margarete und Arnold Vogt.
Blick in die Zigarrenfabrik Anselm Kahn. Archiv Margarete und Arnold Vogt.
Fabrikerweiterung 1914 (rot). Nach dem Erlöschen der Helbruna 1962 kaufte die Stadt Heilbronn das Gelände auf. Foto: Stadtarchiv Heilbronn A 034-1306-04.
Briefkopf der Zigarrenfabrik Anselm Kahn, 1935. Stadtarchiv Heilbronn E 002-999.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Archiv Margarete und Arnold Vogt
Stadtarchiv Heilbronn A 034-1306-04
Stadtarchiv Heilbronn A 034-1306-09
Stadtarchiv Heilbronn E 002-999

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 91–101.
Artikel zu Heilbronn auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 10.05.2021].
FRANKE Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zu der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050-1945) (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 11). Heilbronn 2011. [1963]; Link öffnen [Abruf am 10.05.2021].
JUNG Norbert, Von Kahn zu Kult: unsere Nachbarin – die Zigarre. Ein Beitrag zur Geschichte der Heilbronner Bahnhofsvorstadt. Heilbronn 2009.
Zigarrenfabrik Anselm Kahn, Zeitsprünge Heilbronn Projekt zur Stadtgeschichte; Link öffnen.