Erste urkundliche Erwähnung 1664
Der größte Teil des reichsritterschaftlichen Dorfes Gemmingen gehörte als württembergisches Lehen zur Herrschaft der Herren von Gemmingen. Als Johann Rudolf von Gemmingen 1664 seinen Anteil am Dorf an Württemberg verkaufte, werden erstmals drei Juden am Ort genannt. Auch die Grafen von Neipperg, die seit 1710 die Ortsherrschaft mit den Herren von Gemmingen teilten, nahmen seit 1790 einzelne Juden in Gemmingen auf.
1827 wurde die jüdische Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Sinsheim und nach 1877 dem Rabbinat Bretten zugeteilt. Die Toten der Gemeinde wurden in Heinsheim, Flehingen und Waibstadt beigesetzt, seit 1819 im jüdischen Friedhof in Eppingen.
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts nahm die Anzahl der Jüdinnen und Juden stetig zu und erreichte 1864 mit 291 Personen ihre Höchstzahl; das entsprach beinahe einem Viertel der gesamten Einwohnerschaft von Gemmingen. Durch Ab- und Auswanderung verringerte sich deren Zahl bis 1933 auf 47. Die jüdische Gemeinde Gemmingen bestand noch bis 1938.
Neubau der Synagoge 1821
1727 erhielten die Gemminger Juden die Erlaubnis, gegen eine jährliche Abgabe von zehn Reichstalern eine „Schule“ (Synagoge) einzurichten, womit ein Betsaal in einem der jüdischen Häuser gemeint war. Um 1821 wurde eine neue größere Synagoge hinter das an der Schwaigerner Straße stehende jüdische Schulhaus gebaut.
Neubau der Synagoge 1887
Wegen Baufälligkeit wurde die Synagoge 1887 durch einen Neubau ersetzt. Beim Novemberpogrom 1938 demolierten SA-Leute deren Einrichtung, zündeten das Gebäude jedoch wegen der Wohnungen im davorstehenden ehemaligen jüdischen Schulhaus nicht an. Das Synagogengrundstück wurde noch 1938 von der bürgerlichen Gemeinde „erworben“. 1975/76 wurden Schule und Synagoge im Zuge der Ortskernsanierung abgebrochen.
Neue Schule und Mikwe
Aufgrund der hohen Anzahl jüdischer Schulkinder musste das reparaturbedürftige alte Schulhaus 1867 durch einen größeren Bau ersetzt werden. Im Obergeschoss waren das Schulzimmer sowie die Wohnung des israelitischen Schulmeisters untergebracht, im Erdgeschoss befand sich die Mikwe (Ritualbad). Die Schule wurde bis zur Aufhebung der Konfessionsschule als solche genutzt, später wurden darin Wohnungen eingerichtet.
Wirtschaftliche Betätigung und gesellschaftliches Engagement
Geschäftshäuser jüdischer Familien befanden sich in der Richener Straße 22 (Viehhandlung Leopold Kahn und Moritz Manasse), am Stefansberg 5 (Viehhandlung Simon David und Josef Kahn), in der Bahnhofstraße 7 (Lebensmittelgeschäft Samuel Ottenheimer), in der Bahnhofstraße 8 (Eisenhandlung Oppenheimer) und in der Bahnhofstraße 14 (Kolonialwaren Hedwig Wertheimer). Gleichzeitig betrieb Samuel Ottenheimer eine Handlung für Agrarprodukte mit einem Lagerhaus samt Gleisanschluss in der Bahnhofstraße 54 auf dem heutigen Gelände des Raiffeisenmarktes in der Nähe des Bahnhofs. In der Schwaigerner Straße waren die Wohnhäuser von Hermann Oppenheimer (Nr. 47) und Josef Oppenheimer (Nr. 49). Josefs Tochter Klara Kaufmann zog wieder nach Gemmingen, nachdem ihr Mann im Ersten Weltkrieg gefallen war. Klara wurde 1940 nach Gurs deportiert und in Auschwitz ermordet.
Zigarrenmanufakturen
Ebenfalls in der Schwaigerner Straße war in dem Gebäude mit der Hausnummer 53 die Zigarrenmanufaktur Abraham Oppenheimers beheimatet, die um 1900 mit der Produktion begonnen hatte und während der Weltwirtschaftskrise 1929 ihren Betrieb einstellen musste. Bereits 1897 hatte Anselm Kahn mit der Herstellung von Tabakwaren begonnen, verlegte jedoch bald seinen Firmensitz nach Heilbronn, wo er zu einem der größten Tabakindustriellen Deutschlands aufstieg. Dritter im Bunde der jüdischen Zigarrenproduzenten aus Gemmingen war Moses Richheimer. Er richtete 1900 eine Tabakmanufaktur in seinem Wohnhaus ein und war im Ort bekannt als Vorsitzender des jüdischen Gesangvereins, der nach dem Schabbat-Gottesdienst probte und sich gemäß den Statuten der „Harmonie der Lieder sowie auch jeder gesitteten Ordnung des öffentlichen Lebens“ widmete. Nachdem seine Söhne Ferdinand und Hermann Hugo in das Tabakgeschäft eingestiegen waren, wurde der Firmensitz nach Stuttgart verlegt. Zwei großzügige Spenden zur Verwendung für die Ortsarmen brachte den Brüdern das Ehrenbürgerrecht der Gemeinde Gemmingen ein.
Der Schullehrer Lazarus Bodenheimer
Die angeführten Beispiele erfolgreicher jüdischer Händler und Unternehmer sollen nicht verschleiern, dass viele jüdische Familien auf dem Land in bescheidenen Verhältnissen oder sogar in Armut lebten und sehr erfinderisch sein mussten, um sich zu behaupten. Dabei tat sich der jüdische Schullehrer Lazarus Bodenheimer besonders hervor. Zu seinem schmalen Salär wollte er sich noch etwas hinzuverdienen und versuchte, durch den Vertrieb des Medikaments „Zinon“ zur Heilung der Bleichsucht (Eisenmangel) seine finanzielle Lage zu verbessern. In der Zeitschrift „Der Israelit“ erschien am 24. Juli 1878 folgende auszugsweise wiedergegebene Anzeige: „Radikale Heilung der Bleichsucht. Weder Stahltropfen noch sonstige Medicamente gewähren eine sichere und schnelle Heilung, eine Nichtrepetition dieses bei Damen auftretenden Leidens. Eine Flasche meines Zinons, wovon täglich nur 3 kleine Portionen zu trinken sind, nicht schädlich, noch widerrich [sic] schmeckend, curirt vollständig selbst eingefleischte Bleichsucht.“ Die Redaktion fügte der Anzeige hinzu: „Herr Bodenheimer ist uns von glaubwürdiger Seite als ein Mann soliden Charakters geschildert!“ Ob das Medikament den erhofften durchschlagenden Erfolg erzielte, ist nicht bekannt.
Die Zeit des Nationalsozialismus
Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten sieben in Gemmingen lebenden Jüdinnen und Juden in das „Camp de Gurs“, dem größten Internierungslager in Frankreich deportiert. Hermann Oppenheimers und Rickchen Kahns weiteres Schicksal blieb ungeklärt, Berta Oppenheimer, geb. Kahn, Hedwig Wertheimer, Klara Kaufmann, geborene Oppenheimer, Ida Oppenheimer, Babette Maier, geb. Oppenheimer, wurden in Auschwitz ermordet.
Im Rahmen des „Ökumenischen Jugendprojekts Mahnmal“ fand am 10. April 2016 die Einweihung eines Gedenksteins an die nach Gurs deportierten Jüdinnen und Juden aus Gemmingen statt. Ziel des Projekts war, aus allen badischen Gemeinden, aus denen Juden nach Gurs deportiert wurden, zwei Gedenksteine herzustellen. Einer der Steine verblieb in der Gemeinde, der zweite wurde auf dem zentralen Mahnmal in Neckarzimmern aufgestellt.
Quellen und Literatur
Ungedruckte Quellen:
Gemeindearchiv Gemmingen R 2, B 19; Fotosammlung
Gererallandesarchiv Karlsruhe 352 337
Staatsarchiv Ludwigsburg F 201 Bü. 542
Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Compact Memory; Link öffnen
Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 73–80.
Artikel zu Johanna Ottenheimer auf der Internetseite „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“; Link öffnen [abgerufen am 13.06.2022].
Artikel zur Synagoge in Gemmingen auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 13.06.2022].
EHRET Wolfgang, Gemmingen und Stebbach zur Zeit der Badischen Revolution 1848/49. Gemmingen: Gemeinde Gemmingen, 1998.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 143–145.
SCHÖN Petra, Hugo (Hermann) Richheimer: Unternehmer, Gemmingen (1884–1964). In: Jüdische Persönlichkeiten im Kraichgau. Heidelberg / Ubstadt-Weiher 2013, S. 241–246.
VOGEL Judith, Die unterschiedlichen Entrechtungs- und Verfolgungserfahrungen der Geschwister Oppenheimer im Kontext der Ausdifferenzierung des Nationalsozialismus. Masterarbeit 2019.