Die jüdische Gemeinde Stebbach
Nur wenig erinnert noch an das jüdische Stebbach. Der Dorferneuerung 1959–1973 fielen auch den einst jüdischen Mitbürgern gehörenden Häuser zum Opfer. Gleich mehrere davon standen unweit von hier. Das 1755 erbaute „Alte Rathaus“ (1) gelangte ein Jahrhundert später in den Besitz der jüdischen Familien Eise(n)mann und Oppenheimer. Um diese Zeit kam der jüdische Lehrer Jonas Eisinger (1844–1914) nach Stebbach, der schon bald das Amt des Ratschreibers übernahm und in Anerkennung seiner langjährigen Dienste 1912 Ehrenbürger wurde. 1936 wurde ihm freilich dieses Recht aufgrund seiner jüdischen Herkunft posthum von den Nationalsozialisten wieder entzogen.
Ca. 50 m rechts vom „Alten Rathaus“ war die Spezereihandlung der Josephine Ottenheimer, die hier bis zur zwangsweisen Schließung 1938 allerlei Nützliches für den täglichen Bedarf anbot (3). Schräg gegenüber stand das den Geschwistern Eisemann gehörende Haus mit Stall und einer Metzel; darin befanden sich auch das Ritualbad und oben der Synagogenraum (4). An die Brüder Max und Adolf Eisemann, Kaufhausbesitzer in St. Louis, erinnert noch die 1924 geweihte Fahne des Stebbacher „Liederkranzes“. Die eingestickten Stifternamen waren in der NS-Zeit entfernt worden. Mit Blickrichtung zur Kirche, ca. 50 m auf der linken Seite stand das Gasthaus „Zum Löwen“ von Abraham Bär (5), der auch Viehhändler war.
Mit Blickrichtung zur Kirche, ca. 50 m auf der linken Seite stand das Gasthaus „Zum Löwen“ von Abraham Bär (5), der auch Viehhändler war.
Dieser erwarb für seine Tochter Franziska und deren Ehemann Michael Kahn (1798–1861) ein Haus am Schulberg (6), in dem die neu gegründete, erste „altbadische Bettfedernfabrik“ 1826 ihre Geschäftstätigkeit aufnahm. Nach erfolgreichen Jahren verlegten die Kahns 1854 den Firmensitz nach Mannheim. Die „Monnemer Bettfedderefabrik“ wurde 1938 „arisiert“ und bestand bis 2004 weiter. Im ehemaligen Maschinenhaus werden heute noch Federbetten produziert. Ihren Heimatort Stebbach bedachten die Kahn-Söhne, die 1867 in Mannheim ein Bankhaus gründeten, mit der ihrem Vater gewidmeten Michael-Kahn‘schen-Schulstiftung. Deren Erträge fanden bis 1953 zur Anschaffung von Schulbüchern und Lehrmaterial Verwendung. In der nächsten Generation machte ein Enkel als Bankier in den USA Karriere.
Weiterführender Text
Die Synagoge Stebbach
Von der Synagoge ist keine Abbildung bekannt. Sie wurde 1829 renoviert und erweitert. Dabei erfährt man, dass die Vorfahren des Mayer David Eisemann und Mayer Marx Eisemann den Synagogenplatz der jüdischen Gemeinde geschenkt hatten. Die Familie Eisemann hatte sich aber unten im Gebäude Räumlichkeiten für einen Stall und eine Metzel vorbehalten, die sie selbst nutzte. Auch das Ritualbad befand sich in diesem Gebäude. Die jüdische Gemeinde wurde 1915 aufgelöst, nachdem sie nur noch wenige Personen umfasste. Diese wurden der Nachbargemeinde in Gemmingen zugeteilt. Das Synagogengebäude überdauerte den Zweiten Weltkrieg, wurde aber noch vor Beginn der Dorferneuerung wegen Baufälligkeit mit behördlicher Genehmigung abgebrochen.
Ihr Begräbnis hatten die in Stebbach lebenden Jüdinnen und Juden ursprünglich in Heinsheim, in Oberöwisheim und in Waibstadt, seit 1819 auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof in Eppingen.
Bevölkerungsentwicklung
1670 erhielten die Grafen von Degenfeld das Dorf Stebbach mit Burg Streichenberg von der Kurpfalz zu Lehen. Im Ort sind Jüdinnen und Juden seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts nachgewiesen. 1825 lebten 75 jüdische Bewohner in Stebbach, das 1806 badisch geworden war. 1843 lebten 115 Jüdinnen und Juden in Stebbach, dies entsprach 13,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verkleinerte sich die jüdische Gemeinde, so dass im Jahr 1875 noch 42 und 1900 nur noch 10 Seelen im Dorf lebten. Von den zu Beginn der NS-Zeit in Stebbach lebenden jüdischen Personen verstarben drei in ihrer Heimat, Josephine Ottenheimer starb am 5. April 1945 in einem Hospiz in Mâcon/Frankreich und Jette Eisemanns Schicksal ist ungeklärt.
Wirtschaftliche Betätigung und gesellschaftliches Engagement
Die berufliche Tätigkeit der ersten in Stebbach lebenden Jüdinnen und Juden war der Handel mit Vieh und allerhand Waren. In der jüdischen Gemeinde durften auf die Religion bezogene Berufe wie der des Rabbiners oder Lehrers nicht fehlen. 1757 ist in Stebbach ein Rabbi nachgewiesen: Rabbi Faiß, der auch als Schulmeister und Vorsänger wirkte. Auch der 1781 in Massenbach bezeugte Alexander Samuel war „vorhinniger Judenvorsänger“ in Stebbach gewesen.
Zu besonderen Ehren gelangte der jüdische Lehrer Jonas Eisinger, der in Stebbach auch das Amt des Ratsschreibers übernahm. Seine besonderen Fähigkeiten in der Verwaltung stellte er bei der Aufnahme der Schäden und der Verteilung der Spenden nach der verheerenden Hagelkatastrophe, die die Region am 1. Juli 1897 traf, unter Beweis. In Anerkennung seiner in über 40 Jahren der Gemeinde treu geleisteten Dienste verlieh ihm der Stebbacher Gemeinderat 1912 das Ehrenbürgerrecht.
Der „Liederkranz 1885 Stebbach“
Max und Adolf Eisemann taten sich als Wohltäter für die alte Heimat hervor. Insbesondere unterstützten die in St. Louis lebenden Brüder, „die schon so oft ihre treue Anhänglichkeit an die alte Heimat bewiesen“, den Stebbacher „Liederkranz" bei der Beschaffung einer neuen Fahne: Diese wurde 1923 in einer Heidelberger Stickerei hergestellt und 1924 mit einem großen Fest mit Gesangswettstreit geweiht. Die Brüder Eisemann zählten wie weitere Jüdinnen und Juden aus Stebbach und der Region zu den Stiftern von Ehrenpreisen für dieses Fest.
Fabrikanten, Revolutionäre, Bankiers: Die Familie Kahn
Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten Stebbachs zählt der 1798 in Stebbach geborene Michael Kahn. Wenn auch das Haus am Schulberg, in dem er mit Ende 20 eine Bettfedernfabrik gründete, abgebrochen wurde und die Firma drei Jahrzehnte nach der Gründung nach Mannheim verlegt wurde, ist die Erinnerung an ihn und seine Familie lebendig. In Mannheim zeugt der imposante Gebäudekomplex am Industriehafen, der heute als „Hafenpark“ für die Kreativwirtschaft vermarktet wird, noch von dem bedeutenden Unternehmen. In Stebbach dürfte zumindest Älteren noch die Michael-Kahn‘sche-Schulstiftung in Erinnerung sein, die bis zu ihrer Auflösung 1953 die Anschaffung von Schulbüchern und Lehrmaterial förderte.
Hermann und Bernhard, die beiden ältesten Kahn-Söhne, hatten sich 1849 aktiv an der Badischen Revolution beteiligt. Bernhard musste deshalb das Land sogar für mehrere Jahre verlassen und konnte erst 1857 zurückkehren, als seine Begnadigung in Aussicht stand. 1867 gründete er gemeinsam mit seinen Brüdern das „Bankhaus M. Kahn Söhne“ in Mannheim, das nach mehreren Fusionen und einigen Namensänderungen letztlich in der Deutschen Bank aufging. Bernhard Kahns Sohn Otto Hermann machte in den USA als Bankier Karriere und trat als Mäzen der New Yorker „Metropolitan Opera“ hervor. Sein Engagement bei der Ausgestaltung der New Yorker Park Avenue zur Prachtstraße soll ihm auf das Cover des weltbekannten Brettspiels „Monopoly“ verholfen haben. Ein Foto von ihm soll als Vorlage für die Symbolfigur in dessen Logo gedient haben.
Quellen und Literatur
Ungedruckte Quellen:
Gemeindearchiv Gemmingen (Ortsarchiv Stebbach) B 102 Nr. 366, B 138
Kreisarchiv Heilbronn
Stadtarchiv Mannheim AB01686-013; AB01686-020; AB01686-040
Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 221–224, 282–288, 291–295, 299–302.
Artikel zur Synagoge in Stebbach auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 05.06.2022].
EHRET Wolfgang, Bernhard Kahn: Industrieller, Bankier und Stadtrat, Stebbach (1827–1905). In: Jüdische Persönlichkeiten im Kraichgau. Heidelberg / Ubstadt-Weiher 2013, S. 140–144.
EHRET Wolfgang, Die jüdische Familie Kahn aus Stebbach. Fabrikanten, Revolutionäre, Bankiers. In: Kraichgau, Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung, Folge 17, 2002, S. 231–256.
EHRET Wolfgang, Dorf Stebbach und Burg Streichenberg. Gemmingen: Gemeinde Gemmingen, ca. 1997.
EHRET Wolfgang, Gemmingen und Stebbach zur Zeit der Badischen Revolution 1848/49. Gemmingen: Gemeinde Gemmingen, 1998.
EHRET Wolfgang, Michael Kahn: Bettfedernfabrikant, Stebbach (1798–1861). In: Jüdische Persönlichkeiten im Kraichgau. Heidelberg / Ubstadt-Weiher 2013, S. 151–155.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 145–146.
RABER, Fest-Schrift zur Weihe der neuen Fahne verbunden mit Gesangswettstreit am 21., 22. und 23. Juni 1924: Gesangverein „Liederkranz“ Stebbach. Eppingen 1924.