Die Fabrikantenfamilie und Villa der Schuhfabrik Wolf & Comp.
Die jüdischen Familien Israel und Wolf bauten in Sontheim mit der Schuhfabrik Wolko einen der größten Betriebe in der Region auf. Heute zeugt nur noch die Villa Wolf in der Parkstraße 33 von dieser Epoche der Sontheimer Wirtschaftsgeschichte.
Der Unternehmer Salomon Israel hatte 1889 in Öhringen eine Schuhfabrik gegründet. Sie siedelte 1891 nach Sontheim um, wo sie ein Areal erworben hatte, das schon im 18. Jahrhundert Standort einer Tabakfabrik war.
Die neue Schuhfabrik firmierte unter dem Nachnamen des Schwiegersohns des Gründers, Hermann Wolf. Er richtete die Produktion und den Vertrieb auf modernste betriebswirtschaftliche Abläufe aus, was zum großen Erfolg der Firma beitrug. Innerhalb nur eines Jahrzehnts wuchs die Zahl der Beschäftigten auf etwa 200. Der Firmengründer Salomon Israel und seine Frau Babette feierten 1912 Goldene Hochzeit. Sie errichteten aus diesem Anlass eine gemeinnützige Stiftung.
Die Villa Wolf wurde 1903 im Jugendstil von dem Architekturbüro Kappler & Beckmann als Zweifamilienhaus für die Unternehmerfamilie gebaut. Das Ehepaar hatte insgesamt 14 Kinder, von denen neben dem Schwiegersohn Hermann Wolf auch die Söhne Moritz und Albert Israel im Unternehmen mitarbeiteten. Salomon Israel starb 1921 im Alter von 84 Jahren.
Als die nächste Generation der Fabrikantenfamilien Wolf und Israel in die Firma eintrat, setzten Gerhard Wolf und Ernst Israel einen weiteren Modernisierungsschub in Gang. Die Produktion erreichte eine Kapazität von 5000 Schuhen täglich. Ende der 1920er-Jahre waren mehr als 1000 Menschen in der kurz Wolko genannten Firma beschäftigt.
Der Aufstieg
Eine Reihe von Briefköpfen illustriert den Aufstieg der „Mechanischen Schuhfabrik Wolf & Comp.“ in Sontheim: 1895 sind in einer Vignette noch die barocken Gebäude der früheren Tabakfabrik der Familie Bianchi erkennbar.
1911 ist der Betrieb stark vergrößert und modernisiert; die Fabrikgebäude umrahmen die Villa der Eigentümer. Telegrammadresse und das Telefon mit der Rufnummer 2 heben die Modernität der Firma hervor.
Der Briefkopf von 1929 zeigt die noch einmal erweiterten Betriebsanlagen im Architekturstil der Zeit. Die Fabrikantenvilla steht nun etwas abseits. Dafür ist ein neues Markenlogo zu sehen – ein Wolf über dem Schriftzug „Wolko“.
Die beiden Schwestern Julie und Rosalie
Zwei der Töchter von Salomon Israel, Julie und Rosalie, waren unverheiratet geblieben. Sie wohnten auch nach der Flucht ihrer Verwandten weiter in der Sontheimer Villa. 1940 mussten sie zwangsweise in die Villa Picard in der Lauffener Straße umziehen, wohin man auch die Bewohner des israelitischen Landesasyls brachte. Julie war 71 Jahre alt, als sie am 20. August 1942 mit den anderen Insassen nach Theresienstadt deportiert und später ermordet wurde. Ihre Schwester Rosalie war 65 Jahre alt.
Nach Zeitzeugenberichten wurden die Insassen der Villa auf einen gewöhnlichen Leiterwagen verladen; eine der beiden Schwestern, die gehbehindert bzw. gelähmt war, wurde auf einer Bahre auf den Wagen gehoben.
An Julie und Rosalie Israel erinnern Stolpersteine vor der Villa Wolf. Auch auf dem Familiengrabstein auf dem jüdischen Friedhof in Sontheim sind die Namen der beiden Schwestern verewigt.
Wolko nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach Beginn der NS-Zeit hatten die Eigentümer die Firma in eine GmbH umgewandelt, um sie vor den antisemitischen Angriffen der Nazis zu schützen. Geschäftsführer wurde Eugen Beck. Die Mitglieder der Unternehmerfamilie konnten emigrieren, Hermann Wolf floh 1935 nach England und dann in die USA.
Durch diese Umwandlung in eine GmbH unter der Leitung eines christlichen Geschäftsführers konnte die Schuhfabrik für die Familie gerettet werden. 1960 wurde die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt; nach einigen Erfolgen begann jedoch der Niedergang, so dass 1970 die Produktion eingestellt werden musste. Das Betriebsgelände wurde mit Wohnungen bebaut.
Die Unternehmervilla konnte durch einen privaten Käufer erhalten werden, der das Gebäude sanierte. Seit 1992 steht es unter Denkmalschutz.
Quellen und Literatur
Ungedruckte Quellen:
Stadtarchiv Heilbronn F002-20120417, E002-1108, E002-1250, E002-1300
Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. S. 213–221.
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HAHN, Joachim, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg. Stuttgart 1988.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 196–198.
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SCHRENK Christhard [u.a.]: Von Helibrunna nach Heilbronn. Eine Stadtgeschichte. Stuttgart 1998 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 36).