Jüdischer Kulturweg

Die Villa Picard in Sontheim

Stadt Heilbronn

Zur Übersicht
Peter Wanner

Der Arzt Dr. Julius Picard (1866–1957)

Die ehemalige Villa des in Sontheim sehr beliebten jüdischen Arztes Dr. Julius Picard war für viele jüdische Sontheimer die letzte Station vor der Deportation „nach dem Osten“, vor der Ermordung in den Lagern. Julius Picard selbst war 1940 die Flucht in die USA gelungen.

Dr. Julius Picard und seine Frau Gertrude geb. Grünfelder im Automobil. Es war eines der ersten in Sontheim. Foto: Stadtarchiv Heilbronn F691-90.

1890 kam der damals erst 24 Jahre alte Arzt nach Sontheim. Picard war Jude. Er betreute neben Sontheim auch die Gemeinden Flein, Talheim, Horkheim und Klingenberg, wo es noch keine niedergelassenen Ärzte gab. Dr. Picard besaß deshalb früh ein Automobil, mit dem er die weiten Wege zurücklegen konnte. In den Dörfern praktizierte er meist in einem Gasthaus. Er war bei jüdischen wie christlichen Patienten gleichermaßen beliebt. Auch das israelitische Landesasyl Wilhelmsruhe wurde von ihm betreut.
Anfang des Ersten Weltkriegs ließ sich das Ehepaar Picard in der Lauffener Str. 12 ein Wohnhaus mit Praxisräumen errichten. Architekt war der Böckinger Stadtbaumeister Karl Tscherning. Die Praxis florierte, Picard engagierte sich auch sozial und war Mitbegründer und Ausbilder in der Ortsgruppe des Arbeiter-Samariter-Bundes.

Unter dem Nationalsozialismus

Mit Beginn der NS-Zeit konnte Dr. Picard nur noch eingeschränkt praktizieren. Nichtjuden durften überhaupt nicht mehr von einem jüdischen Arzt behandelt werden. Aber noch 1935 beklagte die Sontheimer NSDAP, dass „der Zulauf zu dem jüdischen Arzt grösser denn je“ sei.
Der älteste Sohn Gustav Picard, wie sein Bruder ebenfalls Mediziner, emigrierte 1936 in die USA. Der jüngere Sohn Helmut schloss sein Studium in der Schweiz ab; auch er floh in die Vereinigten Staaten.
Die Bedrängnis der jüdischen Patienteninnen und Patienten wurde nach dem Novemberpogrom 1938 immer größer. Auch Dr. Julius Picard und seine Frau entschlossen sich zur Emigration. Sie verließen Sontheim am 7. Dezember 1940. Ihr Haus in der Lauffener Straße wurde nun für einige Monate zum jüdischen Altenheim, bis die Bewohnerinnen und Bewohner deportiert wurden. Die meisten von ihnen haben die Schoa nicht überlebt.

Die Villa des Arztes Dr. Julius Picard in der Lauffener Straße 12, 2021. Fotos: Margrit Elser-Haft.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Stadtarchiv Heilbronn F691-90

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 213–221.
Artikel zu Sontheim auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 21.11.2022].
FRANKE Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050–1945). Heilbronn 1963 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 11).
HAHN Joachim, Synagogen in Baden-Württemberg. Stuttgart 1987.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 196–198.
HUNDSNURSCHER Franz / TADDEY Gerhard, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Stuttgart 1968 (Veröffentlichungen der Staatl. Archivverwaltung Baden-Württemberg 19).
SCHRENK Christhard [u.a.]: Von Helibrunna nach Heilbronn. Eine Stadtgeschichte. Stuttgart 1998 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 36).