Jüdischer Kulturweg

Von der Corsettfabrik Herbst in Rappenau zu „Felina“

Stadt Bad Rappenau

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Alexandra Regiert

Auf den Spuren jüdischer Bademodenfirmen

Die Firma „Felina“ hat ihre Ursprünge in der 1885 von Eugen J. Herbst in Rappenau gegründeten Miedernäherei. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns verließ 1889 seinen Heimatort und zog in die aufstrebende Industrie- und Handelsstadt Mannheim. Sein Unternehmen firmierte zunächst als „Corsettfabrik Eugen Herbst“, später nach dem Eintritt seines jüngeren Bruders Hermann als „Korsettfabrik Eugen & Hermann Herbst“. Die Firma, die bald auch Kartonagen und die für Mieder erforderlichen Haken und Schließen produzierte, entwickelte sich zu einer der bedeutendsten der Branche. Waren in Rappenau höchstens zehn Frauen beschäftigt, stieg die Anzahl der weiterhin meist weiblichen Beschäftigten auf 660 im Jahr 1928 und 1.050 im Jahr 1933.

Jüdischer Friedhof Bad Rappenau: Grabstein von Salomon (1833‒1896) und Jette (1835‒1885) Herbst, Eltern des Gründers der Corsettfabrik Eugen Herbst. Foto: Bernd Göller.

Der Erste Weltkrieg hatte freilich einen tiefen Einschnitt bedeutet: Als die beiden eingezogenen Söhne Eugen Herbsts 1919 zurückkehrten, lag der Betrieb mit nur noch etwa 20 Personen am Boden. Mit der Abkehr von den herkömmlichen Miedern zugunsten neuer Entwicklungen wie z. B. des „Felina-Büstenhalters“ passte man sich dem Zeitgeist an. Die Firma avancierte zur zweitgrößten Korsettfabrik Deutschlands.

Im Wohnhaus der Familie Herbst in der Rappenauer Kirchenstraße befand sich die ursprüngliche Miedernäherei, die maximal zehn Frauen beschäftigte. Aus: Barbara Ritter, Felina Architektur und Geschichte der Mannheimer Miederwarenfabrik. Mannheim 2011, S. 19.

„Arisierung“

Ab 1933 bekam das Unternehmen die nationalsozialistischen Repressionen zu spüren: Ihr wurden Ausfuhrgenehmigungen und die Teilnahme an Messen versagt. 1936 trat mit Walter Herbst das letzte Familienmitglied aus der Geschäftsleitung aus und unter dem politischen Druck flüchtete die Familie über die Niederlande nach Kanada. Das Unternehmen wurde für 2.225.000 RM an den Fabrikanten Richard Greiling zwangsverkauft. Obgleich dieser Betrag stattlich erscheinen mag, ging Walter Herbst nach dem Krieg von einem eigentlichen Wert von 4.621.000 RM aus. Im Zuge der Wiedergutmachung verzichtete die in Kanada lebende Familie Herbst 1949 auf eine Rückgabe ihres Betriebes und erhielt stattdessen eine Ausgleichszahlung.

Früherer Standort der Firma Herbst in der Kirchenstraße 6. Foto: Margrit Elser-Haft.

Die FELINA GmbH

Der neue Eigentümer ließ das Unternehmen ab 1936 unter dem Namen „FELINA GmbH“ firmieren und griff damit auf einen von der Gründerfamilie ehemals eingeführten Markennamen zurück. Gleichwohl wurden die jüdischen Eigentümer hierdurch unkenntlich gemacht. Im Jahr 1943/44 wurde die Mannheimer Fabrik durch Luftangriffe zerstört. Da die meisten Maschinen zuvor evakuiert worden waren, gelang es der Firma, den Krieg zu überstehen und in den 1950er-Jahren an vorhergehende Erfolge anzuknüpfen. Seit 1969 produziert „Felina“ Bademode, die sich auch heute noch international hoher Beliebtheit erfreut.

Werbeanzeige der 1920er-Jahre für Felina-Büstenformer.
Vorlage: BikiniARTmuseum.

Das BikiniARTmuseum

Das 2020 eröffnete 1. Internationale Museum für Badekultur zeigt anhand von rund 400 Exponaten die Geschichte der Bademode von 1870 bis heute. Neben der Beleuchtung des jahrhundertelangen Siegeszuges der Frauen gegen schwere Stoffschichten und konservative Moralvorstellungen möchte das Museum auch Einblicke in die vergessenen Geschichten jüdischer Bademodenhersteller gewähren. Neben „Felina“ werden die Geschichte des Chemnitzer Labels „Juvena“ sowie das Schicksal des Oberlungwitzer Unternehmens „Goldfisch“ und seiner jüdischen Gründerfamilie Fischer beleuchtet. Dieser gelang es, im argentinischen Exil mit der Firma „Aguia“ bis heute andauernde Erfolge zu erzielen. Überdies erinnert im Museum ein geheimnisvolles Portrait der Tochter Eveline Fischer an den Mythos „Goldfisch“ – laut dem Erben William van Kuyk (jun.) handelt es sich hierbei um die weltweit erste Werbedarstellung einer Frau im Bikini.

Literatur

ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 27–31.
Artikel zur jüdischen Gemeinde Bad Rappenau auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 03.05.2022].
FRITSCHE Christiane, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim (= Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim – Institut für Stadtgeschichte 39). Ubstadt-Weiher 2013.
GÖLLER Bernd, Der Jüdische Friedhof Rappenau – Folge 3. In: Bad Rappenauer Heimatbote. Jg. 22, 2012, S. 2–6.
Mannheimer Stadtreklame (Hg.), Mannheim, das Kultur- und Wirtschaftszentrum Südwestdeutschlands. Mannheim 1928, S. 147.
RITTER Barbara / Rhein-Neckar-Industriekultur e.V. (Hg.), Felina. Architektur und Geschichte der Mannheimer Miederwaren-Fabrik. 2011.