Wirtschaftlicher Boykott und Repressalien
1933 wurden noch 15 jüdische Einwohner in Massenbach gezählt. Der jüdische Bevölkerungsanteil war schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts beständig gesunken. Aufgrund des wirtschaftlichen Boykotts und der zunehmenden Repressalien verließen die meisten jüdischen Bewohner in den Jahren nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten den Ort. Es verblieben aber noch drei Gewerbebetriebe im Besitz jüdischer Personen. Darunter war auch die Gastwirtschaft und Metzgerei Abraham im Felsenweg 1 unweit der evangelischen Georgskirche.
Die Gaststätte wurde nach dem Tod von Simon Abraham (1853–1913) von dessen Witwe Jenny, geborene Kahn (1866–1942), zusammen mit ihrem Sohn Sigmund weitergeführt. Im März 1938 musste die Gastwirtschaft schließen, zum Jahresende auch die Metzgerei.
Deportation und Gedenken
Sigmund wurde 1941 deportiert. In dieser Nacht stand seine 75-jährige Mutter weinend auf der Straße und schrie: „Ich weiß net, wo ich bin!“ Am nächsten Morgen befand sich am Telefonmast ein Zettel: „Ich grüße alle meine Freunde. Sigmund“.
Wie ihr Sohn wurde auch Jenny Abraham bald darauf deportiert, ebenso wie die im selben Haus wohnende Witwe Regine Abraham geb. Westheimer (1876–1942). Letztere wollte noch mit ihrem Mann Louis auswandern und ihrer Tochter in die USA folgen. Die beiden hatten im Mai 1939 ihr Haus verkauft, erhielten aber keine Ausreisegenehmigung. Sie wurden dann in das Haus der Wirtsfamilie Abraham einquartiert („Judenheim“), wo der schwer kranke Louis 1942 verstarb. An diese drei in der Schoa ermordeten Massenbacher erinnert ein Gedenkstein bei der Georgskirche.
Mit antisemitischen Äußerungen war schon Pfarrer Karl Steger hervorgetreten, der 1916 seine erste Pfarrstelle in Massenbach antrat. Er machte bei Wahlveranstaltungen im Rathaus und von der Kanzel aus Stimmung gegen Juden und äußerte sich auch in seiner Doktorarbeit (1923) antisemitisch. Steger wurde 1924 in den Völkisch-Sozialen Block des Württembergischen Landtags gewählt. In Massenbach erhielt er etwa ein Viertel der Stimmen.
Quellen und Literatur
Ungedruckte Quellen:
Staatsarchiv Ludwigsburg K 23 Bü. 2, EL 228 b II (Schluchtern, Grab Nr. 31).
Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 146–160.
Artikel zu Massenbach auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 15.10.2020].
DIETRICH Hans-Eberhard, Ein Reich, ein Volk, ein Führer, ein Glaube. Dr. Karl Steger: Pfarrer in Friedrichshafen und prominenter Vertreter der Deutschen Christen in Württemberg. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 115. 2015, S. 11–34.
EHMER Hermann, Völkische Pfarrer in Württemberg. In: Württembergs Protestantismus in der Weimarer Republik. Stuttgart 2003, S. 78–121.
HAHN Joachim, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg. Stuttgart 1988, S. 249.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 430‒431.
RAICHLE Christoph, Die Finanzverwaltung in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus. Stuttgart 2019, S. 626 f.
Stadtverwaltung Schwaigern (Hg.), Heimatbuch der Stadt Schwaigern mit den Teilorten Massenbach, Stetten a. H. und Niederhofen. Schwaigern 1994, S. 249–253.