Jüdischer Kulturweg

Die Synagoge und Mikwe Siegelsbach

Gemeinde Siegelsbach

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Johannes Sander

Die Synagoge und Mikwe Siegelsbach

Mehr als ein Jahrhundert lang war das Anwesen an der heutigen Hauptstraße 72 der rituelle und geistige Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde in Siegelsbach, befanden sich hier doch die Synagoge und die Mikwe (Frauenbad). Heute erinnert in Siegelsbach nur noch wenig an die jüdische Vergangenheit. 2017 wurde an dem Wohnhaus in der Hauptstraße 72 eine Gedenktafel angebracht, die auf das ehemalige Frauenbad und den früheren Standort der Synagoge hinweist.

Lageplan mit eigezeichneter Synagoge. Aus: Rudolf Petzold: Die jüdische Gemeinde Siegelsbach. In: Bad Rappenauer Heimatbote, Heimatgeschichtliche Veröffentlichung des Heimat- und Museumsvereins Bad Rappenau sowie der Stadt Bad Rappenau, 23. Jahrgang, Dezember 2013, Nr. 24, S. 71.

Die jüdische Gemeinde

Die Geschichte der hiesigen jüdischen Gemeinde reicht mindestens bis in das frühe 18. Jahrhundert zurück: In dem damals zur Kurpfalz gehörenden Ort werden erstmals im Jahr 1720 Juden erwähnt. Da es sich bereits um mehrere Familien handelte, dürfte ihre Ansiedlung schon einige Zeit zuvor erfolgt sein. 1775 gibt eine Statistik ihre Anzahl mit 28 an: sechs Männer und acht Frauen sowie jeweils sieben Söhne und Töchter. 1801 waren es bereits 63 Personen in zehn Haushalten. In den folgenden Jahrzehnten stieg ihre Anzahl kontinuierlich an und erreichte um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit etwas über hundert Seelen ihren Höchststand. Danach verringerte sich die jüdische Bevölkerung in Siegelsbach wieder, nicht zuletzt durch Auswanderung zahlreicher junger Leute nach Amerika. So lebten im Jahr 1900 noch 29 Jüdinnen und Juden am Ort, und zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 waren es nur mehr neun Personen. Von diesen starben bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 drei jüdische Mitbürger, die übrigen konnten rechtzeitig in die Vereinigten Staaten emigrieren.

Im 19. Jahrhundert

Ein Betsaal für die Siegelsbacher Juden bestand wohl bereits im 18. Jahrhundert, allerdings nur in einem privaten Wohnhaus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelang der Erwerb des damals am nördlichen Ortsausgang an der Ecke der Straße nach Hüffenhardt zur Lindengasse hin gelegenen Grundstücks, auf dem 1804 zunächst die Synagoge errichtet wurde. Sie lag etwas zurückversetzt von der Straße und umfasste auf annähernd quadratischem Grundriss im niedrigen Parterre die Lehrerwohnung sowie im etwas höheren Obergeschoss den eigentlichen Gebetsraum mit der Frauenempore. Westlich schloss sich ein zunächst eingeschossiges Frauenbad an. 1857 wurde das Frauenbad nach Plänen des Werkmeisters Lutz aus Neckarbischofsheim um eine weitere Etage mit einem Zimmer für den Lehrer aufgestockt.

Pläne zur Vergrößerung der Synagoge und Lehrerwohnung durch Einbau eines zweiten Stocks auf das Frauenbad in Siegelsbach, gefertigt 1857. Generallandesarchiv Karlsruhe 377 Nr. 8116.

„Aus Muthwillen und Rachsucht“

Das Frauenbad war 1840 Schauplatz einer im 19. Jahrhundert in Siegelsbach ansonsten zwar einmaligen, gleichwohl heftigen Ausschreitung der christlichen Mitbürger gegen Jüdinnen und Juden: Da der etwas unterhalb auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Richtung Ortsmitte gelegene Dorfbrunnen in einer sehr niederschlagsarmen Zeit nicht mehr die gewohnte Wassermenge gab und man glaubte, die Ursache dafür im Frauenbad gefunden zu haben, drangen eines Nachts einige Männer in das Gebäude ein und verwüsteten die darin befindliche Einrichtung. Auf eine Beschwerde der jüdischen Bevölkerung hin wies das Bezirksamt Neckarbischofsheim die Siegelsbacher daraufhin an, „das aus Muthwillen und Rachsucht demolierte Frauenbad auf Kosten der Gemeindekasse unverzöglich in den vorigen Zustand herstellen zu lassen“.

Brunnen im ehemaligen Frauenbad in Siegelsbach. Aus: https://www.alemannia-judaica.de/siegelsbach_synagoge.htm.

Das Ende der Synagoge

Nach dem Umbau im Jahr 1857 befand sich nun unter dem Betsaal die Wohnung des Lehrers mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche. Ein weiteres Zimmer im Obergeschoss der Mikwe wurde über eine Treppe, die auch zur Frauenempore führte, erschlossen. Stand die Synagoge zur Erbauungszeit außerhalb des Ortsetters, befanden sich nun Mitte des 19. Jahrhunderts unmittelbar neben ihr die Gemeindekelter und ein Wohnhaus.
Infolge der kontinuierlichen Abnahme der jüdischen Bevölkerung fanden seit den 1920er-Jahren jedoch keine Gottesdienste mehr in der Synagoge statt. Bis zur offiziellen, behördlich verordneten Auflösung der Gemeinde mit Beschluss des Badischen Staatsministeriums vom 20. Januar 1938 war das Anwesen in jüdischem Besitz. Bereits einen Tag zuvor verkaufte Julius Grötzinger, als noch amtierender Vorsitzender des Synagogenrats, das gesamte Anwesen, bestehend aus Hofraite, zweistöckiger Synagoge und angebautem zweistöckingem Frauenbad an den Fahrradhändler Heinrich Müllmeier für 615 Reichsmark. Dadurch blieb die ehemalige Synagoge beim Novemberpogrom unangetastet.
Eine Gemeindebesichtigung am 7. Juli 1952 ergab, dass der bauliche Zustand des sogenannten Judenhauses (Judenschule) „für die dort untergebrachten Familien eine stete Gefahr“ bedeutete und der Abbruch des Hauses nicht mehr länger hinauszuschieben war. Nach dem Abbruch des Gebäudes, von dem keine historischen Aufnahmen bekannt sind, blieb das Grundstück unbebaut.
Das zweigeschossige, an der Hauptstraße ein- und seitlich zweiachsige Frauenbad ist im Kern mitsamt einem sorgfältig gemauerten Brunnenschacht noch erhalten und wird heute als Wohnhaus genutzt.

Grundrisse zur Vergrößerung der Synagoge und Lehrerwohnung durch Einbau eines zweiten Stocks auf das Frauenbad in Siegelsbach, gefertigt 1857. Generallandesarchiv Karlsruhe 377 Nr. 8116.

Standort der in den 1950er-Jahren abgebrochenen Synagoge. Foto: Margrit Elser-Haft.
Siegelsbach, Hauptstraße 72. Gedenktafel, die auf das ehemalige Frauenbad und den Standort der früheren Synagoge hinweist. Foto: Hannah-Lea Wasserfuhr. 
Ansicht der Synagoge von der Hauptstraße aus nach dem Umbau im Jahr 1857. Generallandesarchiv Karlsruhe 377 Nr. 8116.
Ansicht der Synagoge mit Treppenaufgang zur Frauenempore. Generallandesarchiv Karlsruhe 377 Nr. 8116.
Hauptstraße 72: Im linken Gebäudeteil befand sich unten das Frauenbad, im Obergeschoss ein Teil der Lehrerwohnung. Foto: Margrit Elser-Haft.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe 377 Nr. 8116
Kreisarchiv Heilbronn A 3 Nr. 6097

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 209–212.
Artikel zur Synagoge Siegelsbach auf der Internetseite der Alemannia Judaica; https://www.alemannia-judaica.de/siegelsbach_synagoge.htm [Abruf am 23.06.2022].
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 438–440.
PETZOLD Rudolf, Die jüdische Gemeinde Siegelsbach, in: Bad Rappenauer Heimatbote. Heimatgeschichtliche Veröffentlichung des Heimat- und Museumsvereins Bad Rappenau sowie der Stadt Bad Rappenau, 23. Jahrgang, Dezember 2013, Nr. 24, S. 70–79.
PETZOLD Rudolf, Siegelsbach. Ein Heimatbuch. Siegelsbach 1986.
Siegelsbach in früheren Zeiten. Hrsg. von der Gemeinde Siegelsbach. Ubstadt-Weiher/Heidelberg/Neustadt a. d. W./Basel 2009.