Jüdischer Kulturweg

Der jüdische Friedhof Sontheim

Stadt Heilbronn

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Peter Wanner

Ein beschwerlicher Weg

Seit 1841 besaßen die jüdischen Gemeinden Sontheim, Horkheim und Talheim einen gemeinsamen Friedhof auf Sontheimer Gemarkung. Er ist bis heute ein bedeutsames Denkmal jüdischer Kultur.
Seit Ende des 17. Jahrhunderts mussten die Jüdinnen und Juden in Sontheim ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof von Affaltrach beerdigen. Ein weiter und sehr beschwerlicher Weg, mit Ochsenkarren und auf schlecht befestigten Wegen. Deshalb bemühten sich die Juden in Sontheim und in den Nachbargemeinden Horkheim und Talheim darum, einen näher gelegenen Friedhof zu bekommen. Erst 1840 erhielten sie von der Obrigkeit die Genehmigung, in der Nähe des Ortes an der Schozach einen Friedhof anzulegen. Er stand damals auch Heilbronner Juden zur Verfügung, bis die jüdische Gemeinde der Nachbarstadt 1868 einen eigenen Bestattungsplatz anlegen konnte.

Die nordöstliche Ecke des jüdischen Friedhofs in Sontheim in den 1960er-Jahren. Die 1900 in Betrieb genommene Eisenbahnstrecke von Heilbronn nach Marbach führte unmittelbar am Gräberfeld vorbei. Foto: Stadtarchiv Heilbronn F-201101432.

Am 4. November 1841 weihte der Rabbiner aus Lehrensteinsfeld den neuen Friedhof ein. Vier Jahre später wurde eine Friedhofshalle erbaut. Nach der Einrichtung des Landesasyls Wilhelmsruhe 1907 wurden auch die Verstorbenen aus dem Altenheim hier bestattet; der Friedhof wurde deshalb 1912 erweitert. Etwa 300 Gräber sind insgesamt dokumentiert. An der südlichen Friedhofsmauer ist ein Grabstein aus dem Jahre 1420, vom zweiten mittelalterlichen Friedhof Heilbronn stammend, eingelassen.
Nach 1933 wurden mehrfach Grabsteine geschändet; die Friedhofshalle wurde 1938 zerstört. Als letzter wurde der jüdische Arzt Ludwig Essinger bestattet. Er hatte nach der Emigration von Dr. Julius Picard die medizinische Betreuung der Bewohner des Altenheims in der Villa Picard übernommen. Angesichts der eigenen Deportation nahm er sich am 5. April 1942 das Leben.

Bestattungskultur

Die hebräischen Inschriften der Grabsteine gehen im 19. Jahrhundert oft über die Angabe von Namen und Lebensdaten hinaus. So heißt es auf einem der ältesten Grabsteine auf dem Sontheimer Friedhof (übersetzt, in hebräischer Zeitrechnung):

Hier ist begraben / die tüchtige Gattin, sie tat wohl wie Avigail, / ihr Tun war liebenswürdig, alle Ehre der Königstochter / ist innerlich / das ist die weise Frau, emporstieg ihre Seele zur Höhe, / all ihre Tage wandelte sie auf dem aufrechten Weg, die Gebote Gottes bewahrte sie / Riwka Zerle Gattin seiner Ehren Awraham Stern / aus Sontheim, / sie ging hin in ihre Welt am heiligen Schabbat, Neumondstag Nissan / und wurde begraben am Montag, 3. Nissan 603 nach kleiner Zählung / Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens

Auf der Rückseite des Steins findet sich ergänzend eine Inschrift auf Deutsch, mit profaner Jahres- und Tagesdatierung und eingedeutschtem Namen:
Die Religion, die du bekunt(?) / der Glaube, dem du gelebt, / werden dir fürsprechende Engel / vor dem Throne Gottes seyn. / Von ihnen bewacht wird auch / dein Staub im Grabe sanft ruhen. /
Dem Andenken der geliebten / Gattin u. Mutter / Cäcilie A. Stern / aus Sontheim / geb. d. 18. Juni 1805 / gest. d. [1. April 1843]

Ergänzt werden die Inschriften in einigen Fällen durch jüdische Symbole wie die Levitenkanne oder das Schofarhorn.

Grabstein der Cäcilie A. Stern aus Sontheim, geb. 18. Juni 1805, gest. 1. April 1843. Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II Nr. 82070 Bild 1.

Eingang zum jüdischen Friedhof Sontheim. Foto: Leonhard Baumgartl.
Blick in den jüdischen Friedhof Sontheim. Foto: Margrit Elser-Haft.
Doppelgrabstein des Ehepaars Löwenthal aus Sontheim: Jacob Löw (Jakov Arie), geb. 11.7.1768, gest. 20.8.1848 und Sarah Gütel (Sara Gittel), geb. 1.2.1768, gest. 2.1.1848. Foto: Margrit Elser-Haft.
Links: Grabstein der Karoline Güldenstein, geb. Gressle (1792‒1858). Rechts: Grabstein des Isak Michael (Jitzchak) Güldenstein (1777‒1861). Eltern des Bildhauers Albert (eigentlich Abraham Isaak) Güldenstein, geb. 3.1.1822 in Sontheim, gest. 25.5.1891 in Stuttgart. Foto: Margrit Elser-Haft.
Grabstein der Jette Manasse aus Talheim, gest. am 20.12.1864. Foto: Margrit Elser-Haft.
Grabstein des Machol Hirsch aus Talheim, gest. 22.5.1865. Foto: Margrit Elser-Haft.
Grabstein des Jacob Hirsch (Jakov Zwi) Victor aus Horkheim, geb. 4.10.1804, gest. 27.11.1868. Foto: Margrit Elser-Haft.
Grabstein des Abraham Königsbacher aus Talheim, geb. 21.12.1802, gest. 4.1.1887. Die Symbolik verweist eventuell auf einen Schofarbläser; das Schofarhorn und die den Grabstein bekrönende Vase sind durch den starken Efeubewuchs kaum mehr zu erkennen. Foto: Margrit Elser-Haft.
Grabstein des Nathan Manasse (aufgesetzte Säule mit Kranz und Tuch bzw. Schal), geb. am 1.1.1892, gest. am 25.3.1915. Foto: Stadtarchiv Heilbronn F 002. Foto Barbara Kimmerle.
Grabstein des Veit Wälder aus Rexingen, geb. 16.3.1859, gest. 15.3.1940 im Sontheimer Asyl. Foto: Margrit Elser-Haft.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Landesarchiv Baden-Württemberg. Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II; Landesdenkmalamt Baden-Württemberg: Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg, Fotografien
Stadtarchiv Heilbronn / Buchner, Stuttgart, / B. Kimmerle, F011, F16512, F011, F011, F001F-4139

Gedruckte Quellen:
Beschreibung des Oberamts Heilbronn. Hg. vom Statistisch-Topographischen Bureau. Stuttgart 1865.
Beschreibung des Oberamts Heilbronn. Hg. vom Statistischen Landesamt. 2 Bde. Stuttgart 1901/1903.

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 213–221.
Artikel zum jüdischen Friedhof Sontheim auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 21.11.2022].
BONDY Dan, Jüdischer Friedhof in Heilbronn-Sontheim: Übersetzung hebräischer Grabinschriften. Heilbronn [1989].
FRANKE Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050–1945). Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn, Heft 11, Heilbronn 1963.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 196–198.
HUNDSNURSCHER Franz / TADDEY Gerhard, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Stuttgart 1968 (Veröffentlichungen der Staatl. Archivverwaltung Baden-Württemberg 19).
LEIBROCK Ernst, Ein Bildhauer aus Sontheim. Albert Güldenstein (1822–1891). In: Schrenk Christhard (Hg.), Heilbronner Köpfe VII. Lebensbilder aus vier Jahrhunderten (Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn), Heilbronn 2014, S. 91–110.