Jüdischer Kulturweg

Das Landesasyl Wilhelmsruhe in Sontheim

Stadt Heilbronn

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Peter Wanner

Das jüdische Altenheim

Das 1907 in der Hermann-Wolf-Straße gegründete jüdische Altenheim in Sontheim steht beispielhaft für die Brutalität und Menschenverachtung, mit der die Nationalsozialisten nach 1933 gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger vorgingen.
Der Israelitische Landes-Asyl- und Unterstützungsverein für Württemberg e.V. startete in der Zeit der Jahrhundertwende das Projekt, ein zentrales Altenheim für jüdische Bürger zu errichten. Als Standort kam Heilbronn in Frage, „aber ja nicht in einer absterbenden Kleingemeinde seiner Umgebung“, wie es 1901 in der Zeitschrift „Der Israelit“ hieß. Kurze Zeit später fiel die Wahl auf die Anhöhe über Sontheim, „in herrlicher und gesunder Lage“. Der Name „Wilhelmsruhe“ wurde von König Wilhelm von Württemberg genehmigt.

Das im Stil des Neobarock erbaute Gebäude des israelitischen Landesasyls kurz nach der Erbauung 1907. Stadtarchiv Heilbronn E005-2864.

Bei der Einweihung des von den Architekten Carl Heim (1859–1944) und Jacob Früh (1867–1937) geplanten jüdischen Altenheims Wilhelmsruhe im Jahr 1907 hatten in dem Heim 32 Personen Platz. 1932 wurden die offenen Veranden auf der Rückseite zu Zimmern umgebaut, so dass sich die Zahl der Bewohner auf 48 erhöhte. In den Jahren 1936/37 erfolgte ein abermaliger Erweiterungsbau, bei dem 30 neue Einzelzimmer entstanden. Während der ersten Jahre der NS-Zeit nahm die Zahl der Bewohner stark zu, wohl in der Hoffnung, hier vor den zunehmenden Übergriffen der Nazis geschützt zu sein. Da gerade die älteren Menschen die Emigration scheuten oder keine Möglichkeit dazu sahen, wuchs die Belegung des Heims in Sontheim auf zeitweise 150 Personen.

Das Novemberpogrom 1938

Am Tag nach der Pogromnacht, also am 10. November 1938, überfiel ein Nazitrupp das jüdische Altenheim in Sontheim. „Sämtliche Insassen des Heims mussten sich zunächst im Speisesaal versammeln, die Nicht-Gehfähigen konnten in ihren Betten bleiben. Der Vorgang der Zerstörung dauerte etwa 90 Minuten“, berichtete später die damalige Leiterin des Heims, Johanna Gottschalk. „Alle Waschbecken und Marmorplatten, alle Lampen und Beleuchtungskörper, die Schreibmaschinen, der Medikamentenschrank, 1000 Teller verschiedenster Größe, einige Hundert Zweiliter-Gläser Eingemachtes: alles war zerstört, die Schränke umgeworfen worden.“

Die ehemalige Leiterin des jüdischen Altenheimes, Johanna Gottschalk. Stadtarchiv Heilbronn F001N-198801778.

Die Vertreibung der Bewohner

Im November 1940 räumten die NS-Behörden das Altenheim. Die vielfach hochbetagten Bewohnerinnen und Bewohner der „Wilhelmsruhe“ wurden auf andere Quartiere verteilt, unter anderem das jüdische Zwangsaltenheim im Eschenauer Schloss.
Johanna Gottschalk, die langjährige Leiterin des Heims in Sontheim, musste mit anderen vorübergehend nach Buttenhausen im Lautertal, ein Dorf mit einer ursprünglich großen jüdischen Gemeinde. Danach führte ihr Weg als Leiterin in das Eschenauer Schloss, bis sie im August 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Sie überlebte „die Hölle von Theresienstadt“, wie sie das Konzentrationslager nach dem Zweiten Weltkrieg beschrieb.
Ein Teil der Bewohnerinnen und Bewohner des Sontheimer Altenheims wurde in der Villa des Sontheimer Arztes Dr. Julius Picard untergebracht, nur wenige hundert Meter von der „Wilhelmsruhe“ entfernt.

Das Gebäude der heutigen Alice-Salomon-Schule in Heilbronn-Sontheim, Hermann-Wolf-Straße 31, 2021. Foto: Margrit Elser-Haft.

Portal des ehemaligen jüdischen Altenheims Wilhelmsruhe im Jahr 2021. Foto: Margrit Elser-Haft.
Detailaufnahme des Portals des ehemaligen jüdischen Altenheims Wilhelmsruhe im Jahr 2021. Foto: Margrit Elser-Haft.
Torpfosten am Eingang zur Alice-Salomon-Schule. Foto: Petra Schön.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Stadtarchiv Heilbronn E005-2864, F001N-198801778

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 213–221.
Artikel zu Sontheim auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 21.11.2022].
Digitales Deutsches Frauenarchiv; Link öffnen.
FRANKE  Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn. Vom Mittelalter bis zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgungen (1050–1945). Heilbronn 1963 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 11).
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 196–198.
HUNDSNURSCHER Franz / TADDEY Gerhard, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Stuttgart 1968 (Veröffentlichungen der Staatl. Archivverwaltung Baden-Württemberg 19).
ULMER Martin / RITTER Martin (Hg.), Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner. Horb-Rexingen 2013.