Jüdischer Kulturweg

Der jüdische Friedhof Affaltrach

Gemeinde Obersulm

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Lukas A. Stadler

Der jüdische Friedhof Affaltrach

Der jüdische Friedhof in Affaltrach wurde um 1670 angelegt. Er zählt zu den ältesten und mit einer Fläche von 73,3 Ar auch zu den größten im Landkreis Heilbronn. Das älteste sicher datierbare Grab des Schmuel Abraham lässt sich auf das Jahr 1677 zurückverfolgen. Rund 200 Jahre wurde die Begräbnisstätte auch von umliegenden Gemeinden belegt, die sich zu einem Friedhofsverband zusammengeschlossen hatten. Die letzten Bestattungen erfolgten 1941/42: Hier fanden 12 Bewohnerinnen und Bewohner des Zwangsaltenheims Eschenau ihre letzte Ruhestätte, darunter auch Cäcilie Ries, die jedoch 1955 auf den jüdischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs umgebettet wurde.

Der Friedhof mit dem 1926 errichteten Taharahaus, in dem die rituelle Waschung an den Verstorbenen vor der Bestattung stattfindet. Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü. 305 Nr. 5 Bild 1.

Der Friedhof mag verfallen und ungepflegt wirken. Jedoch täuscht dieser Eindruck, denn im Judentum dürfen Gräber nicht aufgelöst werden und eine Neubelegung ist untersagt. So wird die Ruhe der Toten gewahrt. Die Unversehrtheit des Körpers und eine Bestattung in einem schlichten weißen Gewand – im Idealfall noch am Todestag – spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Auf vielen der 619 Grabsteine lassen sich symbolische Verzierungen entdecken. Rosen, Davidsterne, Lämmer, Löwenköpfe, Palmzweige oder Priesterhände stehen für Namen, Herkunft oder wichtige Lebensleistungen der Verstorbenen.

Der älteste sicher datierbare Grabstein des Gemeindevorstehers Schmuel Abraham, Sohn des Jitzchak aus Lehren, der 1677 verstorben ist. Foto: Matthias Heibel.

Auf dem Gelände findet sich auch ein Kriegerdenkmal für die fünf jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus Affaltrach, Eschenau und Lehrensteinsfeld. Der Friedhof blieb in der NS-Zeit unversehrt, wurde aber in den 1950er- und 1960er-Jahren geschändet: Grabsteine wurden mit Hakenkreuzen beschmiert und auch umgestürzt. Während der letzten 40 Jahre wurden große Anstrengungen in die Pflege des Ortes und die wissenschaftliche Dokumentation der Gräber investiert. Doch viele Grabsteine sind bereits so tief in die Erde abgesunken, dass sie kaum mehr sichtbar sind. Wie vielen weiteren Menschen der Friedhof als letzte Ruhestätte dient, bleibt somit das Geheimnis dieses geschichtsträchtigen Ortes deutsch-jüdischer Geschichte. 

Kriegerdenkmal auf dem jüdischen Friedhof Affaltrach aus den 1920er-Jahren für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs mit Inschriften auf Hebräisch und Deutsch. Foto: Lukas A. Stadler.

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Der Verbandsfriedhof

Die Affaltracher Begräbnisstätte war ein Verbandsfriedhof. Daher finden sich hier auch Gräber von Verstorbenen aus den jüdischen Gemeinden aus den Nachbarorten Eschenau und Lehrensteinsfeld, aber auch aus Horkheim, Sontheim, Talheim und Öhringen. So mussten die Teilnehmer der Leichenzüge mitunter lange und beschwerliche Wege auf sich nehmen. Bei einer Entfernung von beinahe 20 Kilometern war aber auch kaum die der Tradition entsprechende kurze Zeitspanne (drei Stunden) zwischen der rituellen Waschung des Leichnams (Tahara) und der Bestattung einzuhalten. Daher wurden auf den Friedhöfen Taharahäuser eingerichtet, wo die Leichenwaschung vorgenommen werden konnte. 

Jüdischer Friedhof Affaltrach mit dem 1926 neu errichteten Leichenhaus (Taharahaus). Foto: Freundeskreis ehemalige Synagoge Affaltrach.

Kriegergedenktafel

Die beiden jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus Affaltrach werden auch auf der Ehrentafel der politischen Gemeinde Affaltrach gewürdigt. Diese befindet sich heute in der Aussegnungshalle auf dem Gemeindefriedhof. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Namen der beiden jüdischen Gefallenen, David Kaufmann und Heinrich Levi (der mit seinen sechs Brüdern an der Front gestanden hatte), aus der Ehrentafel herausgemeißelt. Zwar rief diese Maßnahme unter vielen Affaltrachern Entsetzen und Fassungslosigkeit hervor, doch öffentliche Proteste blieben damals aus. Im Jahr 1960 wurde im Auftrag der Gemeinde durch Fronmeister August Laufer und Gemeindearbeiter das Kriegerdenkmal renoviert, doch ist der Akt der Ausgrenzung bis heute sichtbar.

Kriegergedenktafel der Gemeinde Affaltrach für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Deutlich sind noch die Spuren der Entfernung der Namen der jüdischen Kriegsteilnehmer David Kaufmann und Heinrich Levi zu erkennen. Foto: Harry Murso.

Besucherinfo

Der Schlüssel für den Friedhof ist beim Evangelischen Pfarramt Affaltrach, Am Ordensschloß 5 erhältlich. Tel.: 07130 1273.

Führungen können über den Freundeskreis ehemalige Synagoge Affaltrach e.V. organisiert werden.
Ansprechpartner:
Heinz Deininger, Asangstraße 10, 74245 Löwenstein
Telefon: 07130 6823
Mobil: 0171 8614876
E-Mail: heinzdeininger@t-online.de

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Einzelne Grabsteine und ihre Symbolik

Dank der Dokumentation sämtlicher Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof, die auf einen Beschluss des baden-württembergischen Landtages aus dem Jahre 1989 zurückgeht, sind uns heute 619 Grabsteine bekannt. Wenn auch einige fast vollständig eingesunken sind und manche Inschrift kaum mehr zu entziffern ist, haben sich doch einige bemerkenswerte und besonders schöne an diesem Ort der ewigen Totenruhe erhalten.

Grabsteine von Nathan (1792–1850) und Ester Krailsheimer: Die Inschrift auf dem Grab links würdigt Nathan Krailsheimer als Förderer der jüdischen Gemeinde Affaltrach, der dieser unentgeltlich einen Bauplatz und eine Geldspende für den Neubau der Synagoge stiftete. Foto: Matthias Heibel.

Wie Abraham Fais Henle fanden viele Jüdinnen und Juden aus Lehrensteinsfeld auf dem Affaltracher Friedhof ihr Begräbnis. Foto: Heinz Deininger.
Grab des Bernhard Levi (1843–1913) und seiner Frau Hannchen (1847–1931). Bernhard Levi, Kriegsveteran von 1866 und 1870/71, war von antisemitischen Misshandlungen nicht ausgenommen. 1899 wurde er durch drei Heilbronner vor seinem Textilwarengeschäft in Affaltrach zusammengeschlagen. Foto: Heinz Deininger.
Grabstein der 1888 im Alter von 16 Jahren verstorbenen Klara Lindner, Tochter des Kaufmanns Moses Lindner aus Affaltrach mit einer Palme als Symbol für den Sieg des Glaubens über den Tod und für die Auferstehungsverheißung. Foto: Heinz Deininger.
Hier liegt der 1839 verstorbene Salomon Königsbacher aus Talheim begraben. Dem Schofar (Widderhorn) und der hebräischen Grabinschrift zufolge durfte er an hohen Feiertagen den Schofar in der Synagoge blasen. Foto: Heinz Deininger.
Die aus Weikersheim stammende Ida Emrich (1858–1942) verstarb im Zwangsaltenheim Eschenau wie elf weitere Personen. Ihr Name ist auf dem Grabstein falsch wiedergegeben. Foto: Heinz Deininger.
Amalie Dessauer (1848–1942) wurde von einem Stuttgarter jüdischen Altenheim nach Eschenau zwangsumgesiedelt, wo sie am 12. Januar 1942 verstarb. Foto: Heinz Deininger.
Links: Grabstein der im Zwangsaltenheim Eschenau verstorbenen Cäcilie Ries auf dem jüdischen Friedhof Affaltrach. Foto: Heilbronner Stimme/Sabine Friedrich. Rechts: Cäcilie Ries wurde zunächst in Affaltrach beigesetzt, im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde 1955 jedoch in das Familiengrab auf dem jüdischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs umgebettet. Foto: Petra Schön.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II; Landesdenkmalamt Baden-Württemberg: Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg, Fotografien
Gemeindearchiv Obersulm / Ortsarchiv Affaltrach AA 559

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 17–24.
Artikel zum jüdischen Friedhof in Affaltrach auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 07.11.2020].
HAHN Joachim / KLOTZ Richard / ZIEGLER Hermann, Pragfriedhof, israelitischer Teil (Friedhöfe in Stuttgart 3). Stuttgart 1992, S. 176.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 357–360.
KNUFINKE Ulrich, Bauwerke jüdischer Friedhöfe in Deutschland (= Schriften der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa 3). Petersberg 2007.
NIR Benjamin / RITTER Martin, Der jüdische Friedhof in Affaltrach. Obersulm 1998. [1995].
ULMER Martin / RITTER Martin (Hg.), Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner. Horb-Rexingen 2013, S. 63 f., 158 f., 162, 203 f.