Jüdischer Kulturweg

Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau

Gemeinde Obersulm

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Samuel Jakob Stern

Das Zwangsaltenheim im Schloss

1941/42 befand sich im Schloss Eschenau ein jüdisches Zwangsaltenheim. Hier wurden insgesamt 93 ältere, hauptsächlich aus Stuttgart stammende Menschen und 19 Beschäftigte zwangsuntergebracht.
Vom Schlossbesitzer Alexander von Bernus wurde es über die Gemeinde Eschenau an die Jüdische Kultusvereinigung Württemberg vermietet. Am 19. August 1942 fuhr um 10.17 Uhr ein Sonderzug der Reichsbahn mit 80 Heimbewohnern und dem Personal vom Bahnhof Eschenau nach Stuttgart. Von dort erfolgte ein Transport ins KZ Theresienstadt. Dort verstarben viele, andere wurden in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz verbracht und ermordet. Nur zwei Deportierte aus Eschenau überlebten. Zwölf Heimbewohner waren bereits im Schloss verstorben; sie wurden auf dem jüdischen Friedhof in Affaltrach beigesetzt.

Schloss Eschenau, 2011. Foto: Martina Hartmann-Müller.

Weiterführender Text

Ghettoisierung

Im Zuge der Ghettoisierung vor den Deportationen wurden im Herbst 1941 in ganz Deutschland ältere Jüdinnen und Juden in Zwangsaltenheime umgesiedelt. Ein Kriterium für die Auswahl des Eschenauer Schlosses war der Eisenbahnanschluss an der Bahnlinie Heilbronn – Crailsheim. Damit existierten günstige Transportwege für die spätere Deportation in die Konzentrationslager.

Ansichtskarte, gelaufen 1902. Kreisarchiv Heilbronn, Sammlung Wolfgang Domesle.

Die Gemeinde Eschenau richtete das Schloss auf Kosten der Stadt Stuttgart zu einem provisorischen Altenheim ein. Sie vermietete das Anwesen wiederum an die Jüdische Kultusvereinigung Württemberg weiter, die insgesamt 10.0000 Reichsmark für Miete und Instandsetzung hatte aufbringen müssen. Von diesem Betrag floss die Hälfte an die Gemeinde Eschenau, die andere an den Schlossbesitzer von Bernus. Das Anwesen war zur Straße hin verschlossen und der Garten mit Zäunen und Maschendraht von der Außenwelt abgeschnitten.

Ausgeh- und Kontaktverbote, beengte Wohnverhältnisse, unzureichende Hygieneverhältnisse, vollkommene Isolierung und vor allem Hunger machten das Leben für die Heimbewohner trostlos und deprimierend. Während der neun Monate des Bestehens starben zwölf von ihnen an Entkräftung und Krankheiten. Wenige Tage vor der Deportation nach Theresienstadt verstarb am 15. August 1942 Cäcilie Ries. Die Verstorbene wurde, wie auch die anderen Verstorbenen, zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Affaltrach beigesetzt, jedoch im Auftrag der israelitischen Kultusgemeinde 1955 in das Familiengrab auf dem jüdischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs umgebettet.

Amalie Dessauer (zweite Reihe, dritte von links) im Kreise der Familie ihres Schwagers Adolf Dessauer im Garten des Hauses in der Tübinger Uhlandstr. 16, 1930er-Jahre. Amalie Dessauer wurde von einem Stuttgarter jüdischen Altenheim nach Eschenau zwangsumgesiedelt, wo sie am 12. Januar 1942 verstarb. Geschichtswerkstatt Tübingen.

Das Schloss – eine Zwischenstation

In der Zeit des Nationalsozialismus spielte Eschenau nicht wegen seiner jüdischen Gemeinde – es lebten nur noch sieben Jüdinnen und Juden im Ort – sondern aufgrund des euphemistisch bezeichneten „Jüdischen Altenheims“ eine besondere Rolle. Teil der nationalsozialistischen Politik zur Separierung der jüdischen Gemeinschaft von der Mehrheitsgesellschaft war es, wie im „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 festgelegt, rund 140 Zwangsaltenheime zur Konzentration und Deportation einzurichten.
Neben dem Zwangsaltenheim Eschenau existierten in Württemberg noch sechs weitere in Herrlingen, Weißenstein, Dellmensingen, Oberstotzingen, Tigerfeld und Buttenhausen.
Die notdürftigen Unterkünfte boten weder elektrisches Licht noch Privatsphäre. Neben Mangelernährung verschlimmerte winterliche Kälte, die undichten Fenster und die ungenügenden Heizmöglichkeiten die Situation der Bewohnerinnen und Bewohner. Höhepunkte des eintönigen Lebens waren gemeinsame Schabbat-Abende oder die Briefwechsel mit der Familie.

Polizeiliche Anmeldung von Bertha Reif geb. Neuhäuser, geb. am 6. Februar 1866 in Idar. Sie lebte im jüdischen Altersheim in der Heidehofstr. 9 in Stuttgart, ehe sie im Januar 1942 nach Eschenau verbracht wurde. Im August 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und am 26. September 1942 in Treblinka ermordet. Gemeindearchiv Obersulm / Ortsarchiv Eschenau EsA 536.

In Württemberg wurden die Zwangsaltenheime im August 1942 aufgelöst. Allein an den Tagen des 22. und 23. August 1942 wurden insgesamt 1.078 Jüdinnen und Juden ins KZ Terezin und von dort nach Auschwitz oder Treblinka deportiert – nur 49 überlebten die Schoa. Ihr zurückgelassener Besitz, Schmuck, Möbel, Haushalts- und Wertgenstände, kamen in der Regel vor Ort zur Versteigerung und gelangten wie anderswo auch in den Besitz der örtlichen Bevölkerung. Die Gewinne gingen an die Finanzämter, die sich bereits im Vorfeld über sogenannte „Judenvermögensabgaben“ und „Heimaufnahmeverträge“ bereichert hatten.

Links: Versteigerungsanzeige März 1942. Rechts: Dieses hölzerne Schmuckkästchen wurde von einer Eschenauer Familie ersteigert und inzwischen dem Museum in der ehemaligen Synagoge Affaltrach als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Foto: Hannah-Lea Wasserfuhr.

Ansichtskarte von Eschenau, gelaufen 1941. Im Vordergrund der Bahnhof, von dem im August 1942 die Heimbewohner zum Stuttgarter Killesberg und dann weiter nach Theresienstadt deportiert wurden. Kreisarchiv Heilbronn, Sammlung Wolfgang Domesle.
Links: Grabstein der Cäcilie Ries auf dem jüdischen Friedhof Affaltrach. Foto: Heilbronner Stimme/Sabine Friedrich. Rechts: Familiengrab Ries auf den jüdischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs. Foto: Petra Schön.
Grabstein der Amalie Dessauer auf dem jüdischen Friedhof Affaltrach. Sie wurde von einem Stuttgarter jüdischen Altenheim nach Eschenau zwangsumgesiedelt, wo sie am 12. Januar 1942 verstarb. Foto: Heinz Deininger.
Grabstein der aus Weikersheim stammenden Ida Emrich (1858–1942) auf dem jüdischen Friedhof Affaltrach. Sie verstarb, wie elf weitere Personen, im Zwangsaltenheim Eschenau. Ihr Name ist auf dem Grabstein falsch wiedergegeben. Foto: Heinz Deininger.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Gemeindearchiv Obersulm / Ortsarchiv Eschenau EsA 536; Ortsarchiv Affaltrach AA 559
Kreisarchiv Heilbronn, Sammlung Wolfgang Domesle

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 67–72.
HAHN Joachim / KLOTZ Richard / ZIEGLER Hermann, Pragfriedhof, israelitischer Teil (Friedhöfe in Stuttgart 3). Stuttgart 1992, S. 176.
ULMER Martin / RITTER Martin (Hg.), Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner. Horb-Rexingen 2013.
Transport XIII/1 von Stuttgart nach Theresienstadt am 23.08.1942 auf der Internetseite der Holocaust Datenbank.cz; Link öffnen [Abruf am 16.05.2021].
Wo der Tod eine Gnade war. Vom Schloß in Eschenau ins Ghetto von Theresienstadt. In: ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 343–351.