Jüdischer Kulturweg

Die Synagoge Neudenau

Stadt Neudenau

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Leonhard Baumgartl

Ein „wirklicher Vogelkeffich“

Hinter dem Gebäude Hauptstraße 5 befand sich der Betsaal bzw. die Synagoge von Neudenau im 1. Stockwerk über einem Stall. Der Betsaal wurde um 1780 erstmals als „Judenschule“ erwähnt und war damals im Besitz des Gumbel Wolf, dem jüdischen Eigentümer des Gasthauses „Zum Engel“. 1808 erwarb ihn die jüdische Gemeinde. Schon bald war die Synagoge baufällig und drohte einzustürzen. Zudem war der Raum für die jüdische Gemeinde viel zu klein: Er sei ein „wirklicher Vogelkeffich“. Ein an anderer Stelle geplanter Neubau (heute Neue Anlage 20) musste verworfen werden, da der jüdischen Gemeinde die dafür erforderlichen finanziellen Mittel fehlten. Die meisten jüdischen Familien waren damals völlig verarmt und lebten vom Klein- und Hausierhandel mit allen möglichen Waren („Nothandel“).

Nicht realisierter Plan für eine neue Synagoge, gefertigt von Baumeister Storf aus Billigheim, 22. November 1819. Der Neubau kam aus finanziellen Gründen nicht zur Ausführung. Generallandesarchiv Karlsruhe 364 (Bezirksamt Mosbach) Fasz. 1785-1786.

Der Abbruch

Über das weitere Schicksal der Synagoge schweigen die Quellen. Jedoch scheint es gelungen zu sein, die baulichen Mängel so zu beheben, dass in der alten Synagoge nochmals 50 Jahre Gottesdienste gefeiert werden konnten. Nach einer grundlegenden Instandsetzung wurde die Synagoge 1875 von Rabbiner Weil aus Mosbach eingeweiht. Dabei war auch die Einrichtung größtenteils erneuert worden, u.a. waren ein neuer Toraschrein und neue Leuchter angeschafft worden. Das Gebäude diente der immer kleiner werdenden israelitischen Gemeinde bis zu ihrer Auflösung 1937 als Gebetshaus. Danach erwarb es der benachbarte Engelwirt; das schadhafte Dach und das obere Geschoss mit dem Betsaal wurden abgebrochen. Heute sind nur noch die Umfassungswände vorhanden.
Der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinschaft von Neudenau diente die Synagoge bis in die 1930er-Jahre hinein als Gebetshaus. Mit Beschluss des Badischen Staatsministeriums vom 8. November 1937 wurde die israelitische Gemeinde Neudenau aufgelöst und vermutlich auch die Synagoge geschlossen.

Mauerreste der ehemaligen Synagoge Neudenau, 1962. Foto: Heinrich Freund. Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü. 305 Nr. 1281.

Der Umbau

Ein knappes halbes Jahr später, im Mai 1938, übernahm der Engelwirt Martin Lang für die geringe Summe von 50 Reichsmark das Grundstück mitsamt der Synagoge. Da sich das Dach inzwischen in einem sehr schlechten Zustand befand, wurde es abgebrochen, ebenso das erste Obergeschoss mit dem Betsaal. Nach dem 1980 erfolgten Umbau des Erdgeschosses mit Stallungen in ein Getränkelager sind heute nur noch die Umfassungswände vorhanden.

Mauerreste der ehemaligen Synagoge Neudenau. Foto: Eva Maria Kraiss.

Weiterführender Text

Die Mikwe

Im Haus des Gumbel Klein (Hauptstraße 5) befand sich bis 1835 das rituelle jüdische Tauchbad. Damit die „rituelle Unreinheit“ abgewaschen werden kann, was für Frauen vor allem nach der Menstruation, vor Hochzeiten und nach einer Geburt, für Männer nach einem Spermaaustritt erforderlich ist, muss die Waschung mit ‘lebendigem Wasser’ erfolgen. Da diese Unreinheiten vor allem im Zusammenhang mit Frauen auftreten, wurde die Mikwe de facto ein „Frauenbad“. Die Neudenauer Mikwe war nicht beheizbar, und dies war neben hygienischen Gründen der Anlass, ein neues Bad oberhalb der Siglinger Straße in einem Weinberg im Gewann „Laihen“ im Bereich einer Quelle (seitdem „Judenbrünnle“ genannt) zu erbauen. Die Mikwe wurde von dem noch vorhandenen „Judenbrünnle“ gespeist. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses Bad aufgegeben und 1965 abgebrochen.

Links: Gesamtansicht Neudenaus von Süden mit Mikwe (kleines Haus am rechten Bildrand). Nachdruck Josef Frank, Neudenau. Rechts: „Judenbrünnle“ in Neudenau. Von diesem Brunnen wurde die Mikwe gespeist. Foto: Helmut Gehrig, 2014.

Wirtschaftliche Betätigung

Der Gebäudekomplex Hauptstraße 5 umfasste bis in die 1930er-Jahre auch einige jüdische Geschäfte wie zum Beispiel das Textilgeschäft Helmar Spier sowie das Manufakturwarengeschäft Sigmund Weinberg, auf welches heute noch ein Fenstergitter mit einem zentralen „W“ verweist. Einen grundlegenden Umbau erfuhr das Gebäude durch Sigmund Weinberg im Jahr 1928 mit einem Ladeneinbau im Erdgeschoss sowie dem Umbau der Wohnung im Obergeschoss. Ein weiteres Geschäftshaus, die Pferdehandlung von Leopold Haas, befand sich am Kirchplatz 2.

Hauptstraße 5. Bis in die 1930er-Jahre Manufakturwarengeschäft des Sigmund Weinberg, auf welches heute noch ein Fenstergitter mit einem zentralen „W“ verweist. Foto: Margrit Elser-Haft.

Grabstein des Bär Rosenberg, geb. um 1788, gest. am 1. Januar 1863. Bär Rosenberg war der Großvater von Carola Rosenberg − der erste Besitzer ihres Geburtshauses. Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II Nr. 40054 Bild 1.
Kirchplatz 2. Ehemalige Pferdehandlung von Leopold Haas. Foto: Margrit Elser-Haft.
Hauptstraße 5. Wohn- und Geschäftshaus des Sigmund Weinberg, Baugesuch, gefertigt 1928. Ansicht nach dem Ladeneinbau im Erdgeschoss sowie dem Umbau der Wohnung im Obergeschoss. Kreisarchiv Heilbronn A 3 Nr. 7109.

Carola Rosenberg-Blume

Gegenüber der Synagoge, Hauptstraße 6, steht das Geburtshaus der Carola Rosenberg-Blume, einer Pionierin der Frauenbildung in den 1920er-Jahren in Stuttgart. Sie wurde am 6. Juni 1899 als Tochter des Samuel Rosenberg, Kaufmann in Heilbronn, und der Sophie Rosenberg, geb. Hirsch aus Bad Mergentheim, in Neudenau geboren. Samuel Rosenberg wurde am 26. September 1942 in Treblinka (Transport am 23. August 1942 von Stuttgart) ermordet, Sophie Rosenberg starb am 8. November 1933 in Heilbronn.
Carola Rosenberg-Blume, seit 1924 mit dem bekannten Stuttgarter Schriftsteller und Bühnenautor Bernhard Blume verheiratet, war in den 1920er-Jahren Gründerin und Leiterin einer Institution für Frauenbildung an der Volkshochschule Stuttgart. Da sie Jüdin war, wurde sie 1933 fristlos entlassen und emigrierte drei Jahre später in die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie starb am 18. August 1987 in Redlands, Kalifornien. Die Frauenakademie Stuttgart wurde 1999 nach ihr benannt und erhielt den Namen Carola-Blume-Akademie.

Links: Hauptstraße 6: Geburtshaus von Carola Rosenberg-Blume. Rechts: Detailaufnahme. Nach der Inschrift im Fachwerk kann davon ausgegangen werden, dass dieses Haus um 1760/61 errichtet wurde. Fotos: Margrit Elser-Haft.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Generallandesarchiv Karlsruhe 364 (Bezirksamt Mosbach) Fasz. 1785-1786
Kreisarchiv Heilbronn A 3 Nr. 7109
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II; Landesdenkmalamt Baden-Württemberg: Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg, Fotografien

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 177–181.
Artikel zu Neudenau auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 07.06.2022].
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn, Stuttgart 2007, S. 346–349.
SCHÄFER Gerd, Das Neudenauer Häuserbuch. Vom Wandel des Bewahrens. Dokumentation einer Stadtsanierung. Hrsg. von Gerd Schäfer im Auftrag der Stadt Neudenau, Ubstadt Weiher/Heidelberg/Basel 2016.
VOCHEZER Fridolin, Das jüdische Bethaus in Neudenau. In: Neudenauer Heimatblätter. Beilage zum Mitteilungsblatt der Stadt Neudenau, Nr. 121/Januar 1994, Nr. 122/Februar 1994/Nr. 123/März 1994.
VOCHEZER Fridolin, Das jüdische Frauenbad in Neudenau: In: Neudenauer Heimatblätter. Beilage zum Mitteilungsblatt der Stadt Neudenau, Nr. 97/Januar 1992, Nr. 98/Februar 1992, Nr. 112/April 1993.