Jüdischer Kulturweg

Die Synagoge Kochendorf

Stadt Bad Friedrichshall

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Simon M. Haag

Die Synagoge

1697 erlaubte der Deutsche Orden dem aus Kochendorf nach Oedheim zugewanderten und begüterten Moses, eine Synagoge in seinem Haus einzurichten. Um 1745 ließ der Kochendorfer Mayer, der für seine Kinder einen Privatschulmeister beschäftigte, die Judengemeinde ihren Gottesdienst in seinem Haus abhalten. 1766 ist der Judenschulmeister Mordechay Abraham in Kochendorf belegt. Die Gemeinde erhielt mit Callmann Löw 1808 einen eigenen Rabbiner.
Am 18. Mai 1776 verkaufte die Witwe des Jacob Manasse ihr zweistöckiges Wohnhaus am Unteren Tor (Mühltor) an die jüdische Gemeinde. Dieses ist bereits 1718 als Haus der Familie urkundlich belegt. Bereits ein Jahr nach dem Verkauf wurde das Gebäude als „Judenschule“, also als Synagoge, bezeichnet. 1806/07 wurde die alte Synagoge im nunmehr württembergisch gewordenen Kochendorf durch einen Neubau (heute Mühlstraße 12) ersetzt. Im Obergeschoss befand sich der Betsaal. Zentrum des Raumes war die Bima (Betpult) mit dem dahinterliegenden durch Säulen und einen vergoldeten Aufsatz verzierten Aron HaKodesch (Toraschrein). Die untere Etage barg neben anderen Räumlichkeiten das Schulzimmer sowie eine Küche, in deren Kupferkessel ca. 110 Liter Wasser erhitzt werden konnten. Das Warmwasser diente wohl zur Körperreinigung vor dem Besuch der Mikwe (jüdisches Ritualbad). Diese war hinter dem Haus angebaut und wurde durch Grundwasser („lebendiges Wasser“) gespeist, in dem man vollständig untertauchte.
Anlässlich der Regelung der israelitischen Kirchengliederung in Württemberg wurden der jüdischen Gemeinde Kochendorf 1828/1832 die Filialen Neckarsulm, Gundelsheim und anfangs auch Oedheim zugewiesen – die Gesamtgemeinde wurde dem Rabbinat Lehrensteinsfeld zugeteilt. In Kochendorf verblieb ein Schulmeister, der auch als Vorsänger fungierte.

Links: Die 1806/07 erbaute Synagoge Kochendorf um 1928, mit aufgemalten Fenstern im Obergeschoss der Giebelseite. Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 0559. Rechts: Innenansicht des Betsaals; der Frauenbereich befindet sich hinter den Bankreihen für die Männer. Photo Archive Yad Vashem 227DO8.

Infolge des starken Rückgangs der Zahl der Gemeindemitglieder wurden die mittlerweile nur noch sieben Jüdinnen und Juden 1925 der Heilbronner Gemeinde zugeteilt.
Die Synagoge wurde 1938 von der Evangelischen Kirchengemeinde Kochendorf erworben. Nach der Veräußerung an privat wurde das Haus 1949/50 um ein Stockwerk erhöht, wodurch es seinen heutigen Baukörper erhielt. Der neben dem Eingang eingemauerte Trau- oder Hochzeitsstein mit Davidstern wurde bei den Bauarbeiten wegen seiner starken Verwitterung und, weil er in der Mitte durchgebrochen war, in Verkennung seines rituellen und historischen Werts aus der Mauer entfernt.

Links: Eingangsportal der Synagoge. Rechts: Hochzeits- oder Traustein der ehemaligen Synagoge. Fotos: Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 2383.

Die jüdische Gemeinde

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich erste Hinweise auf Juden im reichsritterschaftlichen Kochendorf. So berichten die Quellen ab 1561 von Aaron und Abraham, David, Frömmle und Gumprecht, Jacob, Isaak und Joseph, Lazarus, Marum und Mencke, Nosen, Schimmel, Veit und anderen, die in Kochendorf lebten und arbeiteten. Die jüdische Gemeinde des Dorfs war im Alten Reich eng verbunden mit den Glaubensgenossen des umliegenden Deutschordensgebiets. Dessen in Mergentheim und Gundelsheim ansässige Rabbiner entschieden auch Zwistigkeiten über zeremonielle Vorgänge.
Nach der Nennung eines jüdischen Hausbesitzers und nachfolgenden vereinzelten Nachrichten über jüdische Einwohnerinnen und Einwohner stieg deren Anzahl ab 1710. Ein Jahrhundert später zählte man 78 Jüdinnen und Juden im Ort; dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von fast zehn Prozent. Ihren Höchststand erreichte die Gemeinde in den Jahren 1858 bis 1862 mit 136 Köpfen.

Ketubah (Ehevertrag) des Jakob Herz (1790–1869) und seiner Ehefrau Hanna (1804–1878), Tochter des Lasar[us], Sohn des Juden von Weiler, vom 20. Dezember 1828 in hebräischer Sprache. Beide wurden auf dem Friedhof in Kochendorf bestattet (Grab Nr. 16). Stadtarchiv Bad Friedrichshall KA 437.

Bis 1828 wurden die jüdischen Einwohner in amtlichen Dokumenten nur mit ihren Vornamen und ihrer Glaubenszugehörigkeit bezeichnet, danach mussten alle jüdischen Familien in Württemberg erbliche Familiennamen annehmen. Glaubt man den Quellen, soll das Verhältnis zwischen den Nachbarn christlichen und israelitischen Glaubens auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gut gewesen sein. Allerdings trüben verschiedene Vorkommnisse dieses Bild: So wurde der mit Holz versperrte Zugang zur Synagoge erst nach Strafandrohungen des Schultheißen wieder frei geräumt, und eine Nachbarin ließ neben der Synagoge einen Misthaufen aufsetzen.
Christen erschienen die jüdischen Gebräuche so manches Mal fremd. Als Beispiel lässt sich eine Brandermittlung im Jahre 1823 anführen: Mehrere jüdische Familien hatten zum Laubhüttenfest die Dächer ihrer Häuser abgedeckt, um ihre Sukka (Laubhütte) der Tradition nach unter freiem Himmel auf dem Dachboden aufstellen zu können. Sorgte dies nur für Verwunderung bei der Nachbarschaft, brachte die nächtliche Illumination der mit farbigem Papier verzierten Hütten mit offenem Licht der jüdischen Gemeinde eine Verwarnung durch die örtliche Administration ein. Das Laubhüttenfest erinnert an die Wanderung der Israeliten durch die Wüste nach der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten (Buch Exodus). Während des Festes wird so viel Zeit wie möglich in der Sukka mit Blick auf den offenen Himmel verbracht, um bei Dunkelheit durch das Dach die Sterne sehen zu können.

Deportation und Vernichtung

Von den 1933 noch in Kochendorf lebenden Juden wanderte ein Teil bis 1936 aus, drei ältere Personen, unter anderem Hannchen Herz, geboren 1872, wurden im Israelitischen Altersheim in Heilbronn-Sontheim zwangsuntergebracht. Folgende fünf in Kochendorf geborene Personen kamen in der Deportation bzw. im Konzentrationslager ums Leben: Hedwig Stern, geborene Herz, 1940 in Grafeneck, Julie Herz 1942 im Lager Trostinec, Hannchen Herz, Lina Salomon und Jakob genannt Julius Herz 1942/43 in Theresienstadt. In Gedenken an Hannchen Herz wurde eine Straße beim jüdischen Friedhof nach ihr benannt.

Links: Hannchen Herz (geb. am 24. Januar 1872 in Kochendorf, ermordet am 8. Juni 1943 in Theresienstadt) am Fenster im Obergeschoss des abgebrochenen Hauses Kirchbrunnenstraße 2/2, 1911. Foto: Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 2107. Rechts: Straßenschild der Hannchen-Herz-Straße in der Nähe des jüdischen Friedhofs Kochendorf. Foto: Simon M. Haag.

Synagoge während des Hochwassers 1919. Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 0216.
Umbau des Synagogengebäudes nach 1945. Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 3487.
Das Synagogengebäude im Jahr 2021. Foto: Simon M. Haag.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Stadtarchiv Bad Friedrichshall FZ DBS Koch 0216, FZ DBS Koch 0559, FZ DBS Koch 2382, FZ DBS Koch 3487

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 126–133.
Artikel zur Synagoge Kochendorf auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 16.04.2021].
FIEẞ Egon, Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Kochendorf. In: Bad Friedrichshall am Neckar, Jagst, Kocher. Bad Friedrichshall 1983. S. 405–429.
SAUER Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale – Geschichte – Schicksale (= Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18). Stuttgart 1966.