Schutzgeld anstelle des Frondienstes
Die Herren von Helmstadt, seit 1404 im Besitz von Herrschaftsrechten über den Ort, nahmen möglicherweise schon im 17. Jahrhundert Juden auf. 1719 berichtete Verwalter Johann Wilhelm Erhardt aus Berwangen, dass Juden, sofern sie Schutzgeld bezahlten, frei von Fron- und Wachdiensten sowie Einquartierungen und Botengehen seien. Im 18. Jahrhundert haben die Namen mehrerer Jüdinnen und Juden in den verschiedensten Quellen, unter anderem aus Namenslisten, angefertigt aus Anlass von Beerdigungen auf dem jüdischen Friedhof Heinsheim, wo Berwanger Jüdinnen und Juden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Begräbnis hatten, ihren Niederschlag gefunden. In dem 1809 angefertigten Verzeichnis, erstellt anlässlich der Annahme erblicher Familiennamen, werden für Berwangen 26 Haushaltungen genannt. 1825 lebten 120 jüdische Personen am Ort (15, 1 Prozent der Gesamtbevölkerung). Ihren Höchststand erreichte die jüdische Gemeinde um 1861 mit 194 Personen. Sie gehörte seit der Neubildung der Rabbinatsbezirke in Baden 1826/27 zunächst zum Rabbinatsbezirk Sinsheim, seit 1877 zu Bretten. An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge, eine Schule, ein Badhaus, ein Waschhaus sowie einen Friedhof.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war von einer starken Auswanderungswelle gekennzeichnet. Allein zwischen 1854 und 1856 zogen sieben Familien bzw. Einzelpersonen nach Nordamerika. Ab 1860 erfolgte auch eine Abwanderung in größere Städte wie nach Heilbronn, Stuttgart und Biberach bei Heilbronn. 1892 zählte die jüdische Gemeinde noch 25 Mitglieder, 1933 wohnten 33 Jüdinnen und Juden in Berwangen. Einige waren Mitglied im örtlichen Kriegerverein (sieben Angehörige der jüdischen Gemeinde fielen im Ersten Weltkrieg) und in Gesangvereinen.
Die Synagoge
Die Synagoge wurde 1771 auf einem Gartengrundstück, das die beiden Schutzjuden Gerson Löw und Victor Joseph von der Ortsherrschaft geschenkt bekommen hatten, nach dem Vorbild der Synagoge in Neckarbischofsheim erbaut. Mitte der 1830er-Jahre erwies sich die Synagoge als zu klein und nicht mehr zeitgemäß. Nachdem die Pläne für eine Erweiterung und umfangreiche Erneuerung wieder fallengelassen wurden, entschied sich die jüdische Gemeinde im Dezember 1844 für den völligen Neubau der Synagoge nach den Plänen des Salinenwerkmeisters Fritschi von Rappenau an derselben Stelle wie die bisherige. Das Baugrundstück lag an der Badersgasse, die Synagoge auf dem Grundstück zwischen Badersgasse 2 und 4. Unmittelbar neben der Synagoge wurde 1845 eine neue Schule mit Lehrerwohnung erstellt. Beim Novemberpogrom 1938 zerstörten SA-Leute die Synagoge und holten aus dem Dachboden des benachbarten Schulgebäudes die eingelagerten Möbel und das Inventar ausgewanderter Jüdinnen und Juden und verbrannten es auf dem Sportplatz. Die greifbaren Juden wurden mit Gummiknüppeln zusammengeschlagen und die Häuserwände an jüdischen Wohnhäusern mit Parolen beschmiert. Unmittelbar nach den Ereignissen des Novemberpogroms 1938 wurde die Synagoge abgebrochen. Die Schule blieb als Wohnhaus erhalten (Badersgasse 2).
Wirtschaftliche Betätigung
Viele jüdische Familien lebten in Berwangen vom Viehhandel (Frank, Vollweiler, Kirchheimer), auch existierten hier zwei jüdische Schlachthäuser. Eines wurde zwischen 1880 und 1925 von dem Schächter Salomon (Sally) Kirchheimer in der Neubaugasse 2 betrieben, das andere gehörte zum Anwesen Aron Kirchheimers I. (geb. 1866) in der Maiergasse 4. Um 1900 war Leopold Kirchheimer als Getreidehändler tätig, während seine Ehefrau Mina in der Salinenstraße 42 ein Kolonialwarengeschäft betrieb. Die Initialen des Erbauers und die Jahreszahl sind als Eisenziffern in der Backsteinfassade heute noch gut zu erkennen.
Die Zeit des Nationalsozialismus
Der Entzug der Handelserlaubnis 1936 und erschwerte Arbeits- und Lebensverhältnisse nach 1933 zwang viele zur Auswanderung. Von 21 Auswanderinnen und Auswanderern wandten sich 18 nach Nordamerika. Im November 1938 wurde die Synagoge SA-Schlägertrupps zerstört, wegen der angrenzenden Bebauung aber nicht angezündet. Häuserwände an jüdischen Wohnhäusern wurden beschmiert, Mobiliar zerschlagen oder auf dem Sportplatz verbrannt, einzelne Juden mit Gummiknüppeln geschlagen. Nicht lange nach dem Novemberpogrom wurde die Synagoge abgebrochen; auf dem Grundstück befindet sich heute ein Garten sowie eine Garage. Wenige Mauerreste gehören zur ehemaligen Synagoge.
Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten neun Jüdinnen und Juden aus Berwangen nach Gurs deportiert. Einem gelang die Befreiung aus dem Lager, Aron Kirchheimer starb dort am 21. November 1940, Helene Klaus, geb. Kirchheimer, Gerda und Sophie Frank sowie Flora und Zerline Kirchheimer kamen 1942 nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden. Die Eheleute Abraham und Elsa Gutmann, geb. Vollweiler, überlebten den Zweiten Weltkrieg in provisorischen Lagern und Hospitälern und kehrten im August 1946 nach Berwangen zurück.
Im Rahmen des „Ökumenischen Jugendprojekts Mahnmal“ fand am 18. November 2013 anlässlich der Gedenkfeier zum Volkstrauertag auf dem Friedhof die Einweihung eines Gedenksteins an die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten Jüdinnen und Juden aus Berwangen statt. Ziel des Projekts ist es, für alle badischen Gemeinden, aus denen Jüdinnen und Juden nach Gurs deportiert wurden, zwei Gedenksteine herzustellen. Einer der Steine verbleibt in der Gemeinde, der zweite wird auf dem zentralen Mahnmal in Neckarzimmern aufgestellt. Das Jugendprojekt wird abgeschlossen sein, sobald der letzte Stein gesetzt ist.
Abraham und Elsa Gutmann
Elsa Gutmann, geborene Vollweiler, wurde am 2. Dezember 1887 geboren. Am 22. Oktober 1940 wurde sie nach Gurs deportiert. Nach den Aufzeichnungen in ihrem Tagebuch folgten bis zum 6. August 1946 Aufenthalte in verschiedenen Lagern und Krankenhäusern Südfrankreichs. Ihr Ehemann Abrahman Gutmann wurde am 29. Oktober 1867 geboren, er teilte, was die Aufenthalte in den Internierungslagern betrifft, wohl dasselbe Schicksal wie Elsa.
Am 9. August 1946 kehrten die beiden nach Berwangen zurück, wo sie ihr Wohnhaus, das "Vollweiler-Haus" wieder bezogen. Abraham Gutmann starb am 13. März 1948. Nach dem Tod ihres Ehemanns übernahm Els, wie sie genannt wurde, die Verantwortung für den Erhalt des jüdischen Friedhofs Berwangen, pflegte die Gräber und initiierte die Aufstellung eines Gedenksteins für die in der Schoa ermordeten Berwanger und Berwangerinnen. Später zog Elsa nach Karlsruhe, am 26. März 1973 starb sie in einem Krankenhaus in Sinsheim. Ihre Beisetzung war die letzte auf dem jüdischen Friedhof Berwangen.
Literatur
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 46–50.
Artikel zur jüdischen Synagoge Berwangen auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen.
Artikel zu Abraham und Elsa Gutmann, geb. Vollweiter auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2, Orte und Einrichtungen von Joachim Hahn. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Stuttgart 2007, S. 250–252.
FRANK Wener L., The Curse of Gurs. Way Station to Auschwitz. Charleston SC/USA 2016.