Jüdischer Kulturweg

Der jüdische Friedhof Neckarsulm

Stadt Neckarsulm

Zur Übersicht
Vera Kreutzmann

Die jüdische Gemeinde

Bereits Ende des 13. Jahrhunderts waren Jüdinnen und Juden nachweislich in Neckarsulm ansässig. Die jüdische Gemeinde blieb über die Zeit hinweg stets relativ klein – meist lebten nur wenige Personen oder Familien in der Stadt. Diese betätigten sich vor allem im Handel und feierten ihre Gottesdienste in der bescheidenen Synagoge an der heutigen Kolpingstraße, die aufgrund der demographischen Entwicklung in den 1860er-Jahren aufgegeben und 1875 verkauft wurde. Der Luftangriff der amerikanischen Streitkräfte am 1. März 1945 zerstörte große Teile der Innenstadt Neckarsulms. Darunter waren auch das Synagogengebäude und die Wohn- und Geschäftshäuser jüdischer Bürger. Nur der jüdische Friedhof mit seinem Tahara-Haus erinnert heute noch an die jüdische Geschichte Neckarsulms.

Das Inserat in „Der Israelit“, XVI. Jg., Zweite Beilage zu Nr. 19 vom 12. Mai 1875, S. 425, aufgegeben aus Anlass des Verkaufs der Synagoge, gibt einen groben Überblick über die einstige Ausstattung der Neckarsulmer Synagoge. Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Compact Memory.

Der Friedhof mit Tahara-Haus

Vermutlich während des Dreißigjährigen Krieges (1635) wurde ein eigener Friedhof am Waldenberg (Flurstück 4739), neben dem heutigen städtischen Friedhof im Stadtteil Neuberg angelegt. Die weit außerhalb der Stadt befindliche Begräbnisstätte ist vermutlich identisch mit dem in der Flurkarte von 1779 dargestellten Friedhof. Auf dieser Skizze ist bereits das Tahara-Haus eingezeichnet, ein Gebäude, in dem die rituelle Waschung an verstorbenen Jüdinnen und Juden vor der Bestattung stattfindet. Da keine Unterlagen dazu vorhanden sind, kann man nur vermuten, dass es bereits bei der Anlage des Friedhofs erbaut wurde und bis zu seiner Beschädigung und teilweisen Zerstörung 1938 bzw. 1942 bestand. Im wieder aufgebauten Gebäude ist heute im Inneren noch ein Ziehbrunnen zu sehen. Auch befand sich eine steinerne Bank zur rituellen Waschung der Toten dort. Das Tahara-Haus ist heute eines der ältesten Gebäude dieser Art in Baden-Württemberg.

Das „Judten Begräbnus“ mit Tahara-Haus. Tractus 1779. Flurkartenatlas; Stadtarchiv Neckarsulm S 20 K 1 L 2.

Auf dem Friedhof wurden nicht nur die Toten der jüdischen Gemeinde Neckarsulms bestattet, sondern auch die der Gemeinden Kochendorf und Oedheim. Da der Friedhof fast vollständig belegt war, wurde diesen beiden Gemeinden ab 1870 die weitere Nutzung entzogen. 1874 wurde die Neckarsulmer Gemeinde in die Kochendorfer integriert, nachdem sie bereits seit 1832 Filiale derselben gewesen war. Die Mitglieder gingen in die dortige Synagoge zum Gottesdienst, benutzten jedoch weiterhin den jüdischen Friedhof in Neckarsulm. Die letzte Beisetzung fand im Juli 1924 statt. Ab 1925 gehörten die Kochendorfer Gemeinde und die zugehörigen Neckarsulmer Mitglieder zur jüdischen Gemeinde in Heilbronn, wo sie dann auch ihre Toten bestatteten.

Innenraum des Tahara-Hauses mit altem Ziehbrunnen. Foto: Vera Kreutzmann. Stadtarchiv Neckarsulm S 26 G 2.

Die Zeit des Nationalsozialismus

Die wenigen in Neckarsulm verbliebenen Jüdinnen und Juden waren in der Zeit des Nationalsozialismus zunehmender Ausgrenzung, Anfeindung und physischen Bedrohungen ausgesetzt. Bereits 1933 wurde das Ehepaar Salomon und Rebekka (geb. Bleicher) Nadelreich ausgewiesen. Die beiden gingen erst nach Palästina, dann 1939 in die USA. Die meisten jüdischen Familien wanderten bis 1938 gezwungenermaßen aus. Amalie Bodenheimer und der nach der nationalsozialistischen Rassentheorie als „Halbjude“ eingestufte Werner Römmele wurden aus ihrem Heimatort in Konzentrationslager deportiert – beide wurden dort ermordet.

Tahara-Haus auf dem jüdischen Friedhof Neckarsulm. Im Vordergrund ein mit zerschlagenen Grabsteinen aufgeschichteter Hügel. Foto: vermutlich Theobald Ehehalt, 1963. Stadtarchiv Neckarsulm N 10/1.

Der jüdische Friedhof wurde zweimal geschändet und zerstört: Im März 1938 drangen Jugendliche ein, warfen Grabsteine um, rissen die Ziegel vom Dach des Tahara-Hauses und brachen dessen Tür auf; ihr Handeln blieb ohne Konsequenzen. Über mehrere Jahre hinweg setzte sich der Ratsherr, Archäologe und Heimatforscher Gustav Scholl in zahlreichen antisemitischen Texten und Schreiben an die Stadtverwaltung für die Übernahme des Friedhofs in städtischen Besitz ein. Nach seiner Vorstellung sollte der Friedhof zu einem öffentlich zugänglichen Park umgestaltet werden. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland als Eigentümerin des Grundstücks war schließlich 1942 zum unentgeltlichen „Verkauf“ an die Stadt gezwungen. Daraufhin wurde in kurzer Zeit der Friedhof systematisch zerstört, Grabsteine zerschlagen und zum Straßen- und Wegebau verwendet. Das Tahara-Haus wurde teilweise abgetragen und der Bewuchs zum Großteil entfernt.

„Wiederherstellung“ des jüdischen Friedhofs

1946 wurde über eine „Wiederherstellung“ des Friedhofs diskutiert, mit der ein Jahr später zynischerweise Gustav Scholl beauftragt wurde, der sich maßgeblich für seine Zerstörung eingesetzt hatte. Die noch auffindbaren Teile der zerschlagenen Grabsteine wurden zurückgebracht und aufgehäuft; das Tahara-Haus wiederaufgebaut. Im November 1948 stellte die Israelitische Kultusvereinigung einen offiziellen Rückerstattungsantrag, dem im Juli 1949 stattgegeben wurde. 1961 wurde das Tahara-Haus erneut instandgesetzt. Erst im September 1985 wurde eine Gedenktafel am Friedhof angebracht, die vor wenigen Jahren durch eine aktuelle und inhaltlich richtige ersetzt wurde. Von den Grabsteinen sind heute nur noch 15 Stück aus der Zeit zwischen 1659 und 1759 erhalten.

Jüdischer Friedhof, um 1930. Aus: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in Württemberg. Hrsg. vom Oberrat der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Stuttgart 1932, S. 106.
Jüdischer Friedhof, um 1930. Aus: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in Württemberg. Hrsg. vom Oberrat der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Stuttgart 1932, S. 106.
Innenraum des Tahara-Hauses mit Ziehbrunnen, eines der ältesten Gebäude dieser Art in Baden-Württemberg. Foto: Peter Schmelzle.

Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen:
Landesarchiv Baden-Württemberg. Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 b II; Landesdenkmalamt Baden-Württemberg: Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg, Fotografien
Stadtarchiv Neckarsulm N 10/1; S 20 K 1 L 2; S 26 G 2

Gedruckte Quellen:
Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Compact Memory; Link öffnen

Literatur:
ANGERBAUER Wolfram / FRANK Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn (= Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn 1). Heilbronn 1986, S. 165–176.
Artikel zum jüdischen Friedhof in Neckarsulm auf der Internetseite der Alemannia Judaica; Link öffnen [Abruf am 07.11.2020].
BAUMANN Ansbert, Die Neckarsulmer Juden. Eine Minderheit im geschichtlichen Wandel, 1298–1945. Ostfildern 2008.
HAHN Joachim, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg. Stuttgart 1988, S. 238–241.
HAHN Joachim / KRÜGER Jürgen, Synagogen in Baden-Württemberg. Hrsg. von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem. Teilband 2, Orte und Einrichtungen, von Joachim Hahn. Stuttgart 2007, S. 340–342.